2000 Watt Gesellschaft
2008 stimmte das Zürcher Volk für die Energie-Initiative 2000-Watt-Gesellschaft. Seither hat sich die Stadtverwaltung zum Ökovorbild entwickelt und bereitet Zürich mit Instinkt und Verstand auf den Wandel vor.
Vor sechs Jahren wurde ein Mann mit der Mission beauftragt, das Bewusstsein und Verhalten einer ganzen Stadt zu ändern. Frist: 40 Jahre. Maßnahmen: Alles, was in seiner Macht steht. Klingt nach Casino Royale? Nein, denn der Name des Helden ist nicht Bond, sondern Hohl, Bruno Hohl. Er ist kein Geheimagent, sondern Amtsdirektor der Stadtzürcher Abteilung für Umwelt- und Gesundheitsschutz. Sein Auftrag ist real, nämlich aus Zürich eine 2000-Watt-Gesellschaft zu machen. So wollte es das Zürcher Volk, als es 2008 für die Energie-Initiative gestimmt hat.
Für den Helden bedeutet das, die Bevölkerung der Weltmetropole Zürich bis 2050 dazu zu bringen, deutlich weniger Energie zu verbrauchen und ihren CO2-Ausstoß zu minimieren. Um genau zu sein: Von aktuell 5000 auf 2000 Watt Primärenergie Dauerleistung pro Person und von jährlich fünf auf eine Tonne ausgestoßene CO2-Äquivalente zu kommen. Bruno Hohl hält dies für alles andere als eine Mission Impossible: „Weil aus ökologischer Sicht nämlich absolut kein Weg daran vorbeiführt!“ Sag niemals nie.
Hohl ist ein Realist mit Visionen, und er steht an vorderster Stelle, wenn es darum geht, seine Stadt zukunftsfähig und lebenswerter zu machen. In seinen 30 Jahren bei der Stadtverwaltung hat er schon so manches Großprojekt mitgestemmt, wenn auch keines von der Dimension der 2000-Watt-Gesellschaft. Wo setzt da eine Stadtverwaltung an? Zunächst einmal bei sich selbst – denn wie soll der Bevölkerung eine Veränderung abverlangt werden, wenn die zuständigen Treiber, die Behörden, nicht selbst als Vorbilder vorangehen? „Deshalb verfolgten wir ehrgeizige Ziele, als es darum ging, die Stadtämter bis in den hintersten Winkel 2000-Watttauglich zu machen“, blickt Hohl, Bruno Hohl, zurück auf die Anfänge seiner Mission.
Nach der Abstimmung, in der die Zürcher ihre Verwaltung zur allgemeinen Überraschung mandatiert hatten, sie zum Energiesparen zu zwingen, trommelte die Stadt also zunächst ihre 7000 Angestellten zusammen. Die Verwaltungsleute sollten für das 2000-Watt-Ziel sensibilisiert und begeistert werden. In Vorwegnahme dessen, was langfristig auch auf die Metropole zukommen wird, hat sich die Verwaltung seither an Energiesparregeln zu halten. Die verlangen zum Beispiel, dass der PC ausgeschaltet werden muss, bevor in die Mittagspause gegangen wird. Auch ist die Raumtemperatur für alle Gebäude zentral und einheitlich niedrig reguliert. Wer friert, trägt eben einen wärmeren Pullover. „Und ich blickte deswegen in viele düstere Gesichter am Sitzungstisch“, erinnert sich Bruno Hohl. Ein halbes Jahrzehnt später betrachtet der Direktor die interne Erneuerung als abgeschlossen: „Die anfängliche Bremshaltung hat sich in eine Mitmachkultur gewandelt“, erzählt der 63-Jährige. So leiten seine Kolleginnen und Kollegen ihre Departemente heute mit Überzeugung und Engagement in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft. Das ist essentiell, denn schließlich tangieren deren Ziele jeden Bereich des täglichen Lebens und damit auch alle behördlichen Zuständigkeitsbereiche.
Bald war klar, dass dieses allumfassende Energieprojekt maßgebliche Koordination erfordern würde, und so gründete die Stadt eine abteilungsübergreifende 2000-Watt-Umsetzungsorganisation. Zu deren Leiter wurde – man lebt nur zweimal – Bruno Hohl ernannt. Der zählt die Einrichtung 58 Geschichten des Gelingens einer zentralen Stelle, die einen Überblick über die vielen Unterprojekte behält, zu den Meilensteinen der letzten Jahre. „Im Moment finden sich auf jeder Departements-Webseite und in verschiedensten Broschüren Informationen zur 2000-Watt-Gesellschaft. Da sieht der Nutzer vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr“, bemängelt Hohl den Status quo. „Dieses ganze Informationssammelsurium fügen wir jetzt zu einem übersichtlichen Ganzen zusammen.“
Parallel dazu musste die Stadt das 2000-Watt-Fundament auch auf der Ebene der politischen Zielsetzungen und Verordnungen legen. Dafür überprüfte sie alle vorhandenen Strategien, wie etwa Verkehrs- und Energiepläne, und passte sie an das 2000-Watt-Ziel an. So gilt inzwischen bei Sanierung und Neubau städtischer Liegenschaften der Minergie-Standard als Mindestanforderung, und ihren Strom bezieht die Stadtverwaltung ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen. Auch auf Bürgerebene hat sich die Stadt angestrengt. So etwa wurden wegen der großen Nachfrage seitens der Zürcher aus anfänglichen Pilotprojekten wie dem Energie-Coaching oder dem Öko-Kompass für kleine und mittlere Unternehmen fixe Beratungsangebote. „Uns kontaktieren zum Beispiel zunehmend Bauherren, die wissen möchten, wie sie energetisch sinnvoll bauen können“, freut sich Bruno Hohl. Das sei vor zwei, drei Jahren noch nicht so gewesen. Ausgesprochen positiv reagierten die Bürger auch auf die vielen Tempo-30-Zonen und -Strecken, welche die Stadt dank der bundesweiten Lärm- und Luftrichtlinien durchsetzen konnte. Und natürlich kämpft Hohl dafür, dass es noch mehr werden.
Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs bezeichnet der Agent im Dienste seiner Bürgerschaft allerdings als „harten Brocken“. „Weil die Energie- und Verkehrsgesetze vom Bund und den Kantonen gemacht werden, haben wir als Gemeinde nur bescheidene Einflussmöglichkeiten“, benennt Hohl die größte Hürde. Doch genau da wäre die Möglichkeit einer rigideren Steuerung wichtig, denn Verkehrsteilnehmer bringe man nur mit Gesetzen zur Vernunft, ist der erfahrene Verwaltungsmann überzeugt. Und mit einem flächendeckenden Mobility Pricing, also verursachergerechten Preisen auf Straße und Schiene, im Sinne von „Wer viel fährt, der bezahlt mehr”. Das fänden aber die meisten Politiker zu unpopulär. „Kein Exekutivpolitiker möchte sich mit diesem heiklen Thema die Karriere verscherzen”, ahnt Hohl.
Diese oder andere Bremsklötze, wie die aktuell angespannten Stadtfinanzen, dämpfen den Elan des 2000-Watt-Helden aber nicht. Ermutigend findet er zum Beispiel die „neue“ Stimmung, die er in der Bevölkerung wahrnimmt: „Der Drahtesel gewinnt in der Finanzmetropole Zürich zunehmend an Beliebtheit, während das Auto seine Bedeutung als Statussymbol allmählich verliert. Und der Anteil an nachhaltigeren Produkten in Zürcher Einkaufskörben ist auch wahrnehmbar größer.“ Die Konsumentinnen und Konsumenten, findet er, seien in den letzten paar Jahren deutlich sensibler und kritischer geworden. Für ihn alles Indizien dafür, dass auch außerhalb der Verwaltungsräume ein Kulturwandel beginnt.
Der Umweltexperte ist sich sicher, dass der Zeitpunkt für die 2000-Watt-Mission der richtige ist. Nun, da der Boden bereitet ist, arbeitet seine neue Organisation jedenfalls mit aller Kraft auf die nächste Phase hin: den konkreten stadtweiten Maßnahmenplan. Gleichzeitig liegt Hohl viel daran, Zürich als Experimentier- und Laborort zu erhalten und vorwärtszubringen, um weiterhin Modell auch für andere Regionen sein zu können. Auch wenn das Vorhaben 2000-Watt-Gesellschaft in Zürich noch ganz am Anfang steht – seine Leuchtkraft über die Stadtgrenzen hinaus ist jetzt schon beachtlich. Die Liste von Gemeinden, die sich nach dem Zürcher Vorbild zu Energiestädten wandeln, wird immer länger.
Der Morgen stirbt nie.