ABFAHRT
Was passiert eigentlich mit Autohäusern, wenn Verbrennungsmotoren der Vergangenheit angehören? Sie könnten Transformationsagenturen für eine Verkehrswende werden, meint das Mobilitätshaus Golbeck im Berliner Nordosten. Und macht es selbst vor.
Treibende Kraft hinter dem neuen Konzept ist Christoph Golbeck. „Wir müssen über Alternativen zum Auto nachdenken“, sagt Golbeck, dessen Eltern das Autohaus – damals noch als Trabant-Vertragswerkstatt – 1982 gründeten. Christoph Golbeck, 43, sieht nach einer Mischung aus Geschäftsmann und freundlichem Uniprofessor aus, als er federnden Schrittes aus den Büroräumen des Mobilitätshauses tritt. Er kombiniert Schiebermütze und Anzugweste zu dunkelblauen Jeans und Sneakern mit gelben Streifen. Das geforderte Umdenken in der Automobilbranche begründet er einerseits aus unternehmerischer Perspektive. Golbeck ist, neben seinen 15 Jahren Erfahrung im Familienbetrieb, promovierter Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik. Das klingt durch, wenn er etwa davon spricht, dass rund fünfzig Prozent aller Autohäuser „laut ernstzunehmenden Studien“ in wenigen Jahren nicht mehr am Markt sein werden. Ganz logisch, sich da umzuorientieren. Aber er folgt auch einer „intrinsischen Motivation“, wie er es selbst bezeichnet. „Autos sind oft schlecht für Mensch und Umwelt“, sagt Golbeck, der nebenbei auch leidenschaftlicher Rennradfahrer ist. „Wir haben ein 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Und der Verkehr trägt 20 Prozent zu den gesamten Emissionen Deutschlands bei. Dazu kommen Gesundheitsgefährdungen zum Beispiel durch Feinstaub und der enorme Platzverbrauch.“ Klimaneutralität zu erreichen, könne nur gelingen, wenn Autohäuser zu Multiplikatoren einer Verkehrswende werden. Einer Verkehrswende mit vielfältigerer und anderer Mobilität.
So wie es das Mobilitätshaus Golbeck versucht. Vor Ort sieht das so aus: Die Autohaus-GmbH besteht weiter, Christoph Golbeck ist dessen Prokurist, das heißt Stellvertreter der Geschäftsführung, die noch sein Vater innehat. Daneben gibt es die Mobilitätshaus-GmbH, hier ist Christoph Golbeck geschäftsführend. Beide GmbHs sind in denselben Gebäuden an zwei Standorten untergebracht. In Berlin Buch und hier, in Berlin Friedrichshain. Hinter dem zur Straße gerichteten Schauraum mit Besprechungszimmern befinden sich in zwei Gebäudekomplexen Kundendienst, Büros und Werkstätten. Dazwischen eine Freifläche mit Parkplätzen, vier Elektroautos stehen nebeneinandergereiht unter einer Plakatwand. „Leise, grün und schnell: Mobilität für Berlin – und jwd“ steht darauf. Um die Ecke türmen sich Autoreifen aufeinander, hinter einem der türkislackierten Tore wird gerade ein kleiner Volkswagen repariert – einer mit Dieselmotor. Noch ist die Wartung von herkömmlichen Kraftfahrzeugen hier das Hauptgeschäft. Noch.
Denn Christoph Golbeck ist dabei, den Geschäftsfokus zu verschieben: Hin zum Verkauf und zur Reparatur von elektrisch betriebenen Fahrzeugen – Autos, Transporter, Roller, Motorräder und Lastenfahrräder -, von Ladelösungen und Solaranlagen, hin zu umfassender Beratung sowohl von Privat- als auch von Geschäftskunden. Oft betont Golbeck, dass es sich beim Mobilitätshaus eben nicht um ein Start-up handele. „Das ist ein Transformationsprojekt, dessen Ausgang völlig offen ist“, sagt er. So anzufangen, sei dennoch wichtig. „Ökonomisch gesprochen haben wir in Autohäusern das Vertrauenskapital“, sagt Golbeck, der Unternehmer. Als Politikwissenschaftler sieht er in Autohäusern sogar „Transformationsagenturen“. Zusammengeführt heißt das für ihn: „Wenn wir so viel Vertrauenskapital zu Millionen von Kunden aufgebaut haben, dann ist es ideal, Verkehrswende dort auch zu transportieren.“ Das Konzept soll nicht nur neue Kundschaft anlocken, vor allem sollen Menschen zum Umdenken angeregt werden, die sich sonst vielleicht nicht mit alternativen Mobilitätsformen auseinandersetzen würden. „Wir sind diskriminierungsfrei unterwegs, auch SUV-Fahrern gegenüber“, sagt Golbeck augenzwinkernd.
Ein zentraler Ansatz der Mobilitätshaus GmbH ist neben der Transformation des eigenen Autohauses ein Skalierungskonzept: Andere Autohäuser sollen beraten und dabei unterstützt werden, einen ähnlichen Weg zu gehen. Über ein Kontaktformular auf der Website habe es schon erste Anfragen gegeben, sowohl von kleinen Autowerkstätten als auch von großen Autohäusern aus ganz Deutschland. Um das Konzept großflächig und langfristig umsetzen zu können, sind Christoph Golbeck und sein Geschäftspartner, der Transformationsberater Sebastian Olényi, auf der Suche nach Investoren. Gemeinsam sollen Autohausstandorte aufgekauft werden und in enger Zusammenarbeit mit dessen Betreiber*innen zu Mobilitätshäusern transformiert werden. So wie im Golbeckschen Unternehmen an der Frankfurter Allee können Autohäuser weiterbetrieben werden, allerdings sollen in den Gebäuden auch neue Wertschöpfungsketten aufgebaut werden – Anbieter von E-Mobilität sollen in enger Kooperation eingebunden werden. „So bleiben Fläche, Ressourcen und Bindung zu Stammkunden erhalten“, sagt Golbeck. Und Autohausbetreiber*innen könnten sich dem Klimawandel und dem sich rapide verändernden KFZ-Markt anpassen, ohne sich selbst um die Finanzierung der Transformation sorgen zu müssen.
Dass Christoph Golbeck von seinem Ansatz überzeugt ist, steht außer Frage. Das zeigt er mit wortreichen und komplexen Ausführungen. Die Resonanz sei jedoch gemischt, erzählt er und zitiert einen Branchenkollegen: „Naja, Christoph, das ist dein Weg, viel Glück dabei – aber der ist so speziell, ich würde mich nicht auf den gleichen machen.“ Andere, wie der Obermeister der KFZ-Innung, loben die Transformation überschwänglich und auch einige Kund*innen zeigen sich begeistert. Im konkreten Kaufverhalten äußere sich das aber noch selten. „Gefragt wird viel, gekauft noch wenig“, resümiert Golbeck.
Die Gründe dafür gehen über individuelle Verantwortung hinaus. „Neue Mobilität muss man auch einfach bezahlen können“, sagt Golbeck. E-Lastenräder, wie von Geschäftspartner Citkar, könnten bis zu 16.000 Euro kosten. Finanzielle Anreize, wie die Elektroförderprämie für Dienstwagen, müsste es auch für solche Fahrzeuge in größerem Umfang geben.
Schon jetzt arbeitet das Mobilitätshaus Golbeck gezielt mit Unternehmen zusammen, die dann beispielsweise größere Mengen E-Transporter für Lieferungen im gewerblichen Bereich nutzen. Oder ihren Mitarbeitenden im Rahmen des sogenannten Job-Rad-Modells künftig Dienstfahrräder statt -autos zur Verfügung stellen, auch Fahrräder ohne Elektromotor. „Wir verkaufen keine Fahrräder, aber wir vermitteln sie“, sagt Golbeck. Schwerpunktmäßig gehe es bei ihnen zwar um E-Lastenräder, andere Mobilitätsformen seien aber ebenso Teil der Lösung.
Wie er sich die Mobilität der Zukunft vorstelle? „So viel Auto wie nötig, so wenig Auto wie möglich“, rezitiert Golbeck das Credo des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Die Antriebsart zu wechseln, reiche nicht. „Dann sind Staus noch genausolang.“ Es müsse auch darum gehen, Radinfrastruktur und Öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Im Mobilitätshaus Golbeck kann man sich gut vorstellen, künftig mit kommunalen Verkehrsgesellschaften zu kooperieren, um ÖPNV-Tickets zu verkaufen. Auch andere Zusammenarbeiten sind denkbar. Golbeck sagt: „Elektromobilität ist ein guter Weg, um die Verkehrswende einzuleiten, um auch Autofahrer abzuholen, die sich zum jetzigen Zeitpunkt alles andere eh nicht vorstellen können. Aber das darf nicht der letzte Schritt sein.“