DAS REISEN BESSER MACHEN
Lilith Diringer ist viel unterwegs: im Namen der Nachhaltigkeit. Auf ihrem Onlineportal ChargeHolidays lassen sich ökologisch-faire Unterkünfte einfach finden und buchen.
Karlsruhe, Berlin, Kiel, Moskau, Brandenburg, Münster – Lilith Diringer, 23, war schon als Schülerin bei vielen Wettbewerben eingeladen. Die junge Überfliegerin nahm zum Beispiel an der Biologieolympiade, an Jugend forscht oder am International Physicists Tournament 2023 teil.
Stets aus dem Koffer lebend, sah Lilith viele Hotels und Jugendherbergen. Auch als WWF Changemakerin, eine Art Botschafterin für den Klimaschutz, wusste die forsche junge Frau zu nerven. Nicht selten fragte sie in Hotelküchen nach, woher denn das Gemüse auf den Tellern käme. Und in so manchem Feedback-Formular beschwerte sie sich über unnötige Shampoo-Flaschen aus Plastik. Ja, ganz grundsätzlich stellte sie sich die Frage, ob Reisen nicht per se umweltschädlich sei. Sollte sie darauf verzichten? Sollten alle anderen ebenfalls aufhören zu reisen? Doch Diringer – die später in Dresden „Internationale Beziehungen“ studierte und viele Auslandserfahrungen sammelte, unter anderem als Englischlehrerin in China und als Entwicklungshelferin in Burkina Faso – wusste: Reisen ist nicht nur schädlich, sondern bildet und fördert den interkulturellen Austausch sowie die Völkerverständigung.
Doch gäbe es nicht Möglichkeiten, weniger umweltschädlich zu reisen? Wie könnten innerhalb der Hotelbranche ökologische Pioniere gefunden und Erfahrungen geteilt werden? Und wäre es nicht gegenüber den Reisenden fairer, wenn diese schon vor ihrer Ankunft wüssten, wie nachhaltig ihre Unterkunft sein wird?
Diese Fragen ließen Diringer keine Ruhe. Noch während ihres Studiums recherchierte die damals 19-Jährige stundenlang über Zertifikate, Nachhaltigkeits- und CSR-Kriterien in der Hotellerie. Sie verschickte unzählige E-Mails an Hotels, führte Online-Umfragen bei Verwandten, Bekannten und im Start-up-Netzwerk durch. Dabei stieß sie immer wieder auf ein Problem: Reisen macht acht Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus. Und obwohl über 80 Prozent der Befragten nachhaltiger reisen wollen, ist ein Prozent der Unterkünfte als „nachhaltig“ zertifizier0 [1] Und es gibt mehr als verschiedene 150 Zertifikate mit unterschiedlichsten Kriterien.
Auf ihre E-Mails bekam Diringer immer wieder die Antwort, „grün” zu reisen sei zu kompliziert, zu aufwändig und kaum umzusetzen. Viele Reisende und Hoteliers verstünden auch nicht, welches Zertifikat, was aussagt. So blieben viele orientierungslos zurück. Nur wenige trauten sich zu, zwischen Greenwashing und ehrlichem Umweltengagement zu unterscheiden. Auf der anderen Seite stünden die Hoteliers und Vermieter: Sie sähen durchaus das wachsende Bewusstsein der Kundinnen für grüne Themen, wüssten jedoch nicht, was sie verbessern könnten. Zudem seien sie oft ratlos, wie sie ihr Engagement glaubwürdig kommunizieren sollten.
Für Diringer lag die einfache Lösung in den Buchungsplattformen im Internet. Diese sind schließlich Market Maker und bringen die Nachfrager mit den Anbieterinnen zusammen. Allerdings gibt es keine große Auswahl an Buchungsplattformen, Monopolistinnen bestimmen den Markt. Die Hoteliers, das hat Diringer durch ihre Recherchen herausgefunden, sind damit nicht zufrieden. Intransparente Algorithmen bewerten und rangieren die Hotels. Außerdem führen unterschiedliche Vermittlungsprovisionen, die die Hotelbetreiberinnen an das Buchungsportal zahlen, zu Ungleichheiten. In Diringer reifte die Erkenntnis: Es muss etwas Neues her!
Zeit für ein eigenes unternehmerisches Abenteuer! Was wäre, wenn man den Buchungsprozess in ein interaktives Bildungserlebnis verwandeln würde? Könnte man nicht eine grüne Buchungsplattform schaffen, auf der jeder einfach und gleichzeitig lehrreich Unterkünfte finden und buchen lassen?
Auf die Zertifikate für umweltfreundliche Unterkünfte konnte sie nicht stützen. Die meisten kannten keine Grautöne: Entweder war die Unterkunft „grün“ oder eben nicht. Wer sich für Details interessiert, etwa ob und welche E-Lademöglichkeiten es gibt, ob der Salat regional und bio ist oder wie mit den Mitarbeitenden umgegangen wird – all das muss mühsam recherchiert werden.
Bessere Informationen und ein genauerer Blick auf die Details seien daher notwendig. Deshalb müssten die Hotels, die sich an der Plattform beteiligen wollen, einen detaillierten Fragebogen ausfüllen.
Diringer nannte ihr Portal ChargeHolidays – wobei es ihr um ein doppeltes Aufladen geht. Nicht nur die Reisenden sollten ihre Batterien aufladen, sondern auch der Natur etwas zurückgeben. Für eine zeitgemäße „User Experience“ sollte das Portal Informationen eingängiger, übersichtlicher und interessanter darstellen. Mit Hilfe der Empfehlungen des Global Sustainable Tourism Council entwarf sie ein Spinnendiagramm – den „ChargeHolidays Sustainability Dreamcatcher“. Jede Zacke des Diagramms steht für einen anderen Nachhaltigkeitsbereich der Unterkunft. So ist auf einen Blick zu erkennen, ob die Unterkunft beim Abfallmanagement drei von zehn Punkten oder bei der Mobilität neun von zehn Punkten erreicht.
Die Nutzerinnen und Nutzer von ChargeHolidays können nicht nur die für sie wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen herausfiltern, sondern auch ihren CO2-Fußabdruck berechnen, zu nachhaltigen Projekten beitragen (z.B. durch Social Cashback über den Partner Payactive) und ihr nachhaltiges Verhalten mit Freundinnen und Bekannten teilen. „Ich möchte mit Gamification auch die trägsten Zeitgenossinnen motivieren, die bisher so lästige Reiseplanung in Angriff zu nehmen. Eine meiner Visionen von Charge Holidays ist es, Nachhaltigkeit als neue Norm des Reisens zu etablieren“, erklärt Diringer.
Diringers Start-up sollte nicht nur nachhaltig sein, sondern auch ein Unternehmen, bei dem das Herz am rechten Fleck sitzt: „Mir war es von Anfang an wichtig, meinen Werten treu zu bleiben und diese auch in die Unternehmensform zu integrieren“, sagt sie. Nach einigen Online-Meetings mit sozial orientierten Gründerinnen war für Diringer die Entscheidung schnell gefallen: Den größten und nachhaltigsten Mehrwert konnte sie mit ihrer Idee im Rahmen des Purpose Netzwerks schaffen. Zusammen mit t der Purpose Foundation war es ihr möglich, ihre Werte in den Statuten ihres Start-ups zu verankern. Gewinne sollen als Investitionen im Unternehmen verbleiben, die Unternehmerinnen führen ihr Unternehmen selbst und wirtschaften für das Gemeinwohl.
„Für mich war, das Start-Up aufzubauen wie eine Achterbahnfahrt – man muss wissen, wen man anrufen sollte, um durch die tiefe Abschnitte zu kommen, um wieder Schwung für den nächsten Looping zu bekommen,“ erklärt sie.
Inzwischen gibt es ChargeHolidays als Website und als App für Android und Apple. „Und doch gibt es noch so viel zu tun. Wir haben viele Ideen, zu wenig Zeit und zu wenig Ressourcen“, resümiert die junge Changemakerin. Aber eines hat sie heute schon erreicht: Auf Festivals und Konferenzen inspiriert Diringer andere – nicht nur dazu, künftig nachhaltiger zu reisen, sondern auch dazu, mit einer eigenen Unternehmung eine Lösung für die Probleme unserer Zeit zu finden.
[1] https://globalnews.booking.com/bookingcoms-2021-sustainable-travel-report-affirms-potential-watershed-moment-for-industry-and-consumers/