“Die Kartoffelernte wird ein Trauerspiel" - diesen Satz hört man häufig, wenn man das Gespräch sucht in der ländlichen Gegend von Chinchero in der Nähe von Cusco, Peru. Es herrscht Wasserstress: deutlich weniger Niederschläge, die zeitlich unkalkulierbar und häufig als Starkregen stattfinden, stellen die kleinen familiären Landwirtschaften vor grösste Probleme. Den Menschen hier bleibt keine Wahl und so haben sie begonnen, das Wassermanagment an die Klimakrise anzupassen. Stichwort: Wasser säen. Dahinter stecken unterschiedliche Massnahmen, die die Niederschläge optimal zur Anreicherung oder Regenerierung der Grundwasserhorizonte auszunutzen versuchen. Damit diese Resilienz jedoch durch wenig achtsamen Wasserkonsum nicht direkt wieder zunichte gemacht wird, vor allem in den städtischen Zentren und durch den Tourismus, ist angesagt, ökosystemische Regenerierung zu ermöglichen indem Wechselseitigkeiten erkannt und Verhalten dahingehend ausgerichtet werden. Die hier skizzierte Geschichte des Gelingens befindet sich mitten in diesem Prozess.


Regen: wenn überhaupt dann irgendwann  
 
In den südlichen Anden von Peru hat es nie viel geregnet. Aber es reichte stets um eine Ernte por Jahr zu sichern. In der Gegend von Chinchero nahe dem Touristenzentrum Cusco und Machu Picchu waren es bis vor etwa 15 Jahren rund 800 Millimeter Niederschlag, gleichmäßig verteilt auf die Monate September bis März. In den letzten Jahren sind die Niederschläge um 15 % zurückgegangen und Prognosen gehen von einer weiteren 15% Niederschlagsabnahme aus. Gleichzeitig kommt es häufiger zu sinflutartigen Regenfällen, was die Infiltration des Wassers in den Boden und damit die Auffüllung der Grundwasserniveaus fast unmöglich macht. Bis Ende November diesen Jahres (2022) hat es überhaupt nicht geregnet. In normalen Jahren werden die Felder mit den ersten Regen bestellt; aber solange es nicht regnet, hat es keinen Sinn auszusäen. 
 
"Wir lassen die Köpfe hängen wie die welken Kartoffenpflanzen auf unseren Feldern“, beschreibt Jenny Paucar ihren Gemütszustand. Segundino Huamán und die Brüder Cosme und Jesús Quispe finden die Metapher von Jenny traurig passend. Allesamt leben in der Landgemeinde Pongobamba, am Ufer des Piuray-Sees. "Die kleinen Wasserquellen oberhalb unserer Parzellen führen noch etwas Wasser, aber es reicht nicht mehr. Unser Bewässerungskomite weist jeder Parzelle noch gerade mal zwei bis drei Stunden Wasser pro Woche zu. Das reicht für die allermeisten Pflanzen nicht aus. Vor allem die Kartoffeln sind am Rande des Verdorrens. In einem Jahr mit normalen Niederschlägen ernten wir bis zu 500 Kilo Kartoffeln pro Parzelle, aber dieses Jahr werden es weniger als 100 Kilo sein", sagt Segundino; das Schweigen in der Gruppe bestätigt seien Diagnose. Die Ernte der Aussaat steht ebenso auf dem Spiel wie die regenabhängige Neuaussaat. 
 
Bis etwa 2012 gab es in der Region eine mehr oder weniger ausgeprägte Regenzeit und stabile Ernten. Dies gehört der Vergangeheit an. Die Situation in Pongobamba und im Bezirk Chinchero ist die gleiche wie in weiten Teilen der südlichen Anden von Peru und Bolivien. Ernteeinbussen bis hin zu Missernten verbunden mit dem  Drama der fehlenden Aussaat aufgrund von Regenmangel führen unweigerlich zu Notlagen und Hunger. Die anhaltende Dürre erhöht die Gefahr von Bränden, wodurch die ohnehin spärliche Vegetationsdecke zerstört wird. Dadurch wird die Infiltrations- und Absorptionskapazität des Bodens, um Niederschläge zurückzuhalten, weiter verringert. Es scheint wie ein Teufelskreis.      
 
Anpassung und Gegenseitigkeit  
 
Das Centro Bartolomé de las Casas, eine NGO mit Sitz in Cusco beschäftigt sich seit mehr als 10 Jahren mit dem Thema Wasser und insbesondere mit dem Wassermanagment. Juan Víctor Béjar, Fachmann bei der Institution zum Thema Wasser erklärt die Situation aus seiner Warte: "Wir haben ein sehr ernstes Problem mit dem ständig steigenden Wasserverbrauch in der Stadt Cusco; im Durchschnitt verbraucht ein Stadtbewohner hundert Liter pro Tag, und bei den Touristen steigt diese Zahl auf das Dreifache. Hier gibt es ein Problem der Wassergerechtigkeit, denn in ländlichen Gebieten, wo die Stadt mit Wasser versorgt wird, bedroht der Wassermangel die Existenz der Menschen". Das Centro Bartolomé de las Casas CBC wird von einer Reihe von Hilfswerken (u.a. Comundo, The Nature Conservancy,  Brot für die Welt und Misereor) in ihrer Arbeit unterstützt.
 


42 % des Wasserbedarfs von Cusco Stadt wird durch den Piuraysee im Bezirk Chinchero gedeckt. Das Touristenmagnet Machu Picchu zog vor der Pandemie jährlich etwa 2 Millionen Besucher nach Cusco. Langsam normalisiert sich dieser Besucherandrang, wodurch es sehr wahrscheinlich zu einem stärkeren Anstieg des Wasserverbrauchs in Cusco kommen wird. Amílcar Escalante, er lebt unmittelbar am  Ufer des Piuraysees und ist ein engagierter Aktivist, der bei der Interkommunalen Interessensvertretung des Wassereinzugsgebiets Piuray mitmischt. Dieser Daschorganisation gehören alle 16 Dörfer des Distrikts Chinchero an. "Das Unternehmen Seda Cusco, das Cusco mit Wasser versorgt, entnimmt dreihundert Liter Wasser pro Sekunde aus dem See; früher waren es 120 Liter por Sekunde, aber da der Wasserverbrauch in der Stadt ständig steigt, wird immer mehr Wasser entnommen. In Dürrejahren, wie jetzt gerade, sinkt der Wasserpegel des Sees. Es ist unbedingt notwendig, das Bewusstsein für einen achtsameren Wasserverbrauch in Cusco zu stärken“. Tatsächlich gibt es bisher weder ein Monitoring des Wasserpegels des Sees, noch eine Verordnung die vor einer Überausbeutung des Sees schützt. Der Hauptort des Distrikts Chinchero verzeichnet eine zunehmende Verstädterung; und der neue Flughafen von Cusco wird ebenfalls in Chinchero gebaut. All dies wird zukünftig zu einem noch höheren Wasserbedarf und damit voraussichtlich zu einer Wasserabschöpfung jenseits jeglicher ökosystemischer Regenerationsmöglichkeiten führen.    

Erste Schritte der Reziprozität
 
Angesichts des Problems des Wassermangels und des mangelnden Bewusstseins für den umweltschonenderen Wasserverbrauch in Cusco hat die Lokalregierung von Chinchero gemeinsam mit der Interkommunalen Interessensvertretung des Wassereinzugsgebiets Piuray, dem Centro Bartolomé de Las Casas und dem Wasserdienstleister der Stadt Cusco - Seda Cusco - einen Mechanismus zur Entschädigung für Ökosystemleistungen eingeführt. Dies ist ein Aufpreis bzw. eine Kompensation, den die städtischen Verbraucher in ihrer Rechnung für jeden verbrauchten Kubikmeter Wasser zahlen. Die auf diese Weise eingenommenen Finanzmittel fließen in einen Treuhandfonds, um die Entnahme von Wasser, das als Ökosystem(dienst)leistung verstanden wird, zu kompensieren. Derzeit wird dieser Ausgleichsfonds vom halbstaatlichen Wasserdienstleister Seda Cusco verwaltet; die Fondsmittel gilt es in den Gebieten zu investieren, in denen Wasser entnommen wird, beispielsweise in Aufforstungsinitiativen. Gegenüber dem jetzigen Procedere hat Amílcar Escalante eine klare Meinung: "Unsere Interkommunale Vertretung des Wassereinzugsgebiets Piuray muss schleunigst eine aktivere Rolle bei der ökosystemischen Restaurierung des lokalen Wassereinzugsgebiets übernehmen und den Ausgleichsfonds viel stärker nutzen, indem Wiederaufforstung, Baumschulen, Versickerungsgräben usw. angegangen werden. Dafür müssen wir aber unsere Komfortzone verlassen“.
 
Die Idee der Kompensationszahlung entstand nach dem Besuch eines Pilotprojekts zur Kompensation von Ökosystemleistungen bezüglich der Wasserqualität und -quantität in der Region San Martin im peruanischen Amazonastiefland gelegen. Mittlerweile kommen jedoch immer mehr Begteiligte zu dem Schluss, diesen Ansatz zu überdenken. Denn anstelle von Ausgleichszahlungen für Ökosystemleistungen wächst die Überzeugung, von der Logik einer rein finanziellen Transaktion (ich gebe dir und du gibst mir) wegzukommen. Ohne eine deutlich stärkere Reziprozität und auf Gegenseitigkeit beruhendes Verhalten zwischen den Menschen in der Stadt und auf dem Land wird eine ökosystemische Restaurierung ein reines Lippenbekenntnis bleiben. Die Stadtbevölkerung, einschließlich des Tourismussektors werden einen umweltschonenderen  Wasserverbrauch praktizieren müssen; gleichzeitig sind die lokalen Regierungen und Verwaltung angehalten, Maßnahmen zu fördern, die es erlauben, die Niederschläge optimal zur Anreicherung oder Regenerierung der Grundwasserhorizonte zu nutzen. Dieses gezielte Säen und Ernten von Wasser umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen: oberflächige Regenauffangreservoire zum Sammeln und Speichern von Oberflächenwasser für die Versickerung in den Grundwasserleiter, Terrassen und Versickerungsgräben, Vegetationsbedeckung beispielsweise mit Ichu-Gras zum Zurückhalten von Regenwasser, Wiederaufforstung in den Quellgebieten mit einheimischen Bäumen wie Q'euña oder Tallanca sowie die Anlage und Unterhaltung von Baumschulen.
 


Wasserernte
 
Die Messstation Huquipucjo im Sektor Pucamarca existiert seit gut zwei Jahren und liegt in einem Bachbett. In den letzten 10 Jahren führte der Bach bereits kurz nach Beginn der Trockenzeit über Monate hinweg kein Wasser mehr. Dank der verschiedenen Aufforstungen, Auffangbecken, Sickergräben und Terrassierungen, der umliegenden Dorfbewohner, unterstützt durch das Centro Bartolomé de las Casasführt der Bach wieder Wasser. Nach acht Monaten Trockenheit ist ein Durchfluss von 0,4 Litern pro Sekunde zu verzeichnen. In anderen Worten: das Grundwasserniveau konnte leicht einsetztend angereichert werden. Die Messstation übermittelt die Messdaten digital, wodurch ein lückenloses Monitoring möglich ist. Wilber Rodríguez, ein Teamkollege von Juan Víctor beim Centro Bartolomé de las Casas erklärt: "Wir beobachten auch in anderen Zonen des Distrikts, wie sich die einsetzendeestaurierung des Ökosystems Wasser bemerkbar macht". Sowohl der Piuraysee als auch die kleinen Flussläufe und Bäche hängen vom Grundwasser und der Regeninfiltration in den Boden ab. Der Anstieg des Durchflusses an der Messstation Huquipucjo, so gering er auch sein mag, ist ein vielversprechender Beweis für die erreichte Verbesserung der Grundwasseranreicherung.
 
Gegenseitige Fürsorge

In der andinen indigenen Kosmovision werden Berge, Seen und die Natur schlechthin im Lichte einer Personifizierung wahrgenommen. Die Dinge sind beseelt und wir Menschen laufen Gefahr, sie zu kränken. So handelt es sich beim Piuraysee um die Tochter des Sonnengottes; zusammen mit dem Huayposee haben sie eine Tochter, die Coricochalagune. Für viele hier lebenden Menschen sind die spärlichen Niederschläge das Absinken der Grundwasserspìegel und die anhaltenden Dürren Zeichen dafür, dass die Apus (Berge, welche ausgehend von der ihnen eigenen Spiritualität grossen Einfluss auf das Leben der Menschen haben, sie so beschützen aber auch bestrafen können) verärgert sind. Für viele Einwohner ist dies eine grosse moralische Belastung, ähnlich wie die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. 
 
Amílcar und Jenny berichten unabhängig voneinander, dass die Dorfbewohner alle möglichen Riten und Opfergaben an die Erde durchführen, um die Stimmung der Apus zu ändern, damit es Regen gibt. Vor diesem Hintergrund ist das große Interesse der Menschen bemerkenswert, Wasser zu säen. Diese Bemühungen bedürfen jedoch nicht nur der tatkräftigen Unterstützung durch die Kommunalverwaltungen in Form von  öffentlichen Investitionen, sondern auch ein unterstützendes Verhalten durch die Stadtbevölkerung, denn ohne einen Paradigmen- und Verhaltenswechsel in den Städten wird das, was an Restaurierung des Ökosystems Wasser erreicht werden, in kürzester Zeit wieder zunichte gemacht.           
 
Quintessenzen in Richtung Zukunft
 
  • Die Merkantilisierung der Natur und Umwelt, indem für Ökosystemleistungen finanzielle Kompensation geleistet wird, entpuppt sich immer mehr als Sackgasse. Angesagt ist eine ökologische Restaurierung und Respektierung von Regenerationszyklen der Natursysteme.       
  • Zueinander passende Verhaltensänderung zwischen Stadt und Land und Gemeinwohl als Gradmesser adäquaten Verhaltens  sollte die  getrennten Agenden zwischen Stadt und Land schleunigst ersetzen.  
  • Wassergerechtigkeit, bei der die Landbevölkerung und die arme Stadtbevölkerung das gleiche Recht auf Wasser haben wie die wohlhabende Bevölkerung oder der Tourismus (wie im Falle von Cuzco) ist ohne Umweltgerechtigkeit nicht zu haben.    
 
 
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Der Text wurde auf der Grundlage von Gesprächen vor Ort vom Almanaque del Futuro, durch Jorge Krekeler / Jenseits von Morgen - Zukunftsalmanach (Berater von Misereor im Auftrag von Agiamondo) im November 2022 erstellt. Ein großes Dankeschön geht an Amílcar Escalante, Jenny Paucar, Segundino Huamán, Cosme und Jesús Quispe, Mitglieder der Gemeinde Pongobamba im Bezirk Chinchero, sowie an Juan Víctor Bejár und Wilber Rodríguez vom Centro Bartolomé de las Casas - CBC. Vielen Dank auch an Ramiro Llatas von Comundo, der den Erstkontakt herstellte und die Recherche begleitete. 
 
 
Autor: Jorge Krekeler 
jorge.krekeler@posteo.de

Layout: Ida Peñaranda - Gabriela Avendaño Bildmaterial: Centro Bartolomé de las Casas y Jorge Krekeler 
 
Kontaktangaben in Bezug auf dokumentierte Erfahrung:
Centro Bartolomé de las Casas - CBC
Juan Víctor Bejár
juanvictor.bejar@apu.cbc.org.pe
Amilcar Escalante Quillahuaman
WhatsApp +51 984 868 694
 
 
Ausgabe: Januar 2023

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