SABOTIERT EURE BEQUEMLICHKEIT!
Soziale Netzwerke beschaffen private Daten, um den Konsum der Menschen immer raffinierter zu steuern und zu steigern.
Kein soziales Netzwerk war so erfolgreich wie die Kurzvideo-App TikTok . Die Konkurrenz stand unter Druck und kopierte einfach das erfolgreiche Vertikalformat, anstatt auf die eigenen Stärken zu vertrauen. Der Instagram -Chef erklärte letztes Jahr, dass es sich nicht mehr um eine Fotoplattform handele und man sich noch stärker auf Videos konzentrieren werde als bisher. Mit Shorts hat YouTube einen Bereich geschaffen, in dem Inhalte auf 60 Sekunden begrenzt sind. Und auch neue Spieler springen auf den Zug auf.
Während Amazon bereits an der Reinkarnation des Teleshoppings arbeitet und Live-Streaming im Stile von Twitch eingeführt hat, wird mit der Amazon- Inspire- Funktion endlich nach Hause gebracht, was sich auf anderen Plattformen unter dem Motto „Dinge, die du getan hast“ längst bewährt hat. Ich wusste nicht, dass du es brauchst. Bei Amazon kulminieren Social-Media-Cartoons, die eigentlich nur auf Konversion – also Aufmerksamkeit in Verkäufe umwandeln – ausgelegt sind, in einer zweiten Dynamik, die alle großen Plattformen verbindet: mehr Kaufinspiration und mehr Werbung.
Der Ads Manager von TikTok ist seit Kurzem auch in Deutschland verfügbar und unterstützt ausgewählte Werbetreibende beim Erstellen, Testen und Tracking von Kampagnen. Passend dazu wollte TikTok kürzlich eine personalisierte Werbepflicht in seine neuen Datenschutzbestimmungen aufnehmen. Erwachsene Nutzer sollen nicht mehr verhindern können, dass TikTok in den App-Einstellungen ihr Nutzungsverhalten detailliert auswertet, um teurere Werbung verkaufen zu können. Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde konnte dies vorerst verhindern und einigte sich auf eine Stillhaltevereinbarung mit TikTok .
Mit der Zunahme personalisierter Nachrichten in sozialen Netzwerken nimmt auch die kommerzielle Ausrichtung der Inhalte in unseren täglichen Medien zu. Dass Social-Media-Werbung hervorragend funktioniert, zeigen nicht nur die steigenden Verkaufszahlen, sondern auch Studien, die bestätigen, dass personalisierte Werbung Impulskaufverhalten fördert und Influencer-Kampagnen Kaufabsichten anregen können. Auch die Menge und Häufigkeit (also die Wahrnehmungsintensität) von Online-Werbung beeinflussen nachweislich die Verbraucherbedürfnisse und erhöhen das Konsumniveau.
Angesichts unserer ökologischen und sozialen Probleme, die teilweise eine Folge des hohen Konsums in den Ländern des Globalen Nordens sind, ist das keine gute Nachricht. Unterdessen entwickelt die milliardenschwere Werbebranche immer subtilere Werbetaktiken: Microtargeting-Strategien werden ausgefeilter, Markeninhalte werden besser versteckt und Werbeblocker werden umgangen. Auf der Grundlage psychologischer Forschung vermitteln uns Vermarkter, dass Wünsche genauso wichtig sind wie Bedürfnisse, insbesondere wenn es um die Identitätsbildung geht.
Folglich muss die Richtlinie zur Erhebung, Auswertung und Analyse personenbezogener Daten über die DSGVO-Standards hinaus Grenzen setzen, die durch manipulativ gestaltete Einwilligungen, beispielsweise durch die Gestaltung von Cookie-Einstellungen, leicht untergraben werden können. Daher ist „Alle akzeptieren“ das Wichtigste offensichtliche und bequeme Option. In der diesjährigen »Bits and Trees« -Konferenz wurde gefordert, Daten nur zur Erbringung einer bestimmten Dienstleistung zu nutzen und deren Weitergabe an Dritte gänzlich zu untersagen. Diese strengere Regulierung der Verwendung personenbezogener Daten wird auch dazu beitragen, Wohlbefinden und nachhaltigkeitsorientierte digitale Geschäftsmodelle zu fördern, die derzeit auf Nischenmärkte beschränkt sind.
Bis dahin sind Sie als Social-Media-Nutzer nicht der Werbeindustrie ausgeliefert. In der Selbsthilfegruppe der anonymen Scroller, die der Council for Digital Ecology En Bits & Bäume gegründet hat Die Menschen konnten offen über ihren Verlust der persönlichen Kontrolle im Umgang mit sozialen Netzwerken sprechen und Tipps für mehr Selbstbestimmung im Internet austauschen. Selbst wenn Sie einige einfache Tipps befolgen und ein wenig Verwirrung stiften, z. B. regelmäßig Cookies löschen, Social-Media-Plattformen nicht über offizielle Anwendungen, sondern über den Browser öffnen und einen Werbeblocker installieren, können Sie den Pull-Effekt begrenzen. und Teile davon untergraben die hochentwickelte Werbemaschinerie. Es mag paradox klingen, aber für viele Anonymous Scroller liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Beziehung zu sozialen Netzwerken in der Sabotage von Bequemlichkeit und Faulheit selbst.
Anonyme Verdränger: Eine Broschüre für alle, die den Sweet Spot in ihrem Medienkonsum suchen, ist verfügbar unter rdoe.org
Maike Gossen & Maxim Keller gehören der Arbeitsgruppe für nachhaltige Digitalität an, mit der das Digital Ecology Council zusammenarbeitet. Die Arbeitsgruppe hinterfragt digitale Entwicklungen aus sozialökologischer Perspektive.
Dieser Artikel erschien zuerst in taz.FUTURZWEI, Ausgabe 23/2022.