BIER VON HIER ERBITT’ ICH MIR
Saufen für die Nachbarschaft: Sebastian Jacob aus Berlin-Neukölln verzapfte die Idee vom Sozialbier. Pro Kasten Quartiermeister gehen drei Euro an soziale Projekte.
Prost!
Man kreiere eine lokale Biermarke, saufe sie vor Ort und unterstütze damit Nachbarschaftsprojekte. Im Sommer 2009, ausgerechnet während der Vorbereitung auf sein Examen, kam dem damaligen Jurastudenten Sebastian Jacob diese ebenso einfache wie geniale Idee. „Menschen engagieren sich gerne lokal, und sie haben gerne Spaß dabei“, sagt Jacob, inzwischen Rechtsreferendar. „Ich dachte mir: Trinken für die Nachbarschaft, das kann sich rumsprechen – am besten bei einem Bier.“ Seit 2010 gibt es den Quartiermeister in Jacobs Heimatstadt Berlin zu kaufen, in 0,33-Liter-Flaschen. Pro Kasten gehen drei Euro an soziale Projekte.
Zum (Gemein-)Wohl!
Die Bierkonzerne machten gewaltige Gewinne, von denen die Allgemeinheit nichts habe, sagt der 31-Jährige. Zudem störe ihn die kartellmäßige Aufteilung des Biermarktes. Also suchte Sebastian Jacob für die Produktion seines Sozialbieres nach einer kleineren, inhabergeführten Brauerei. Zu seinem Bedauern fand er in Berlin keine. Aber im 150 Kilometer entfernten Gardelegen in Sachsen-Anhalt entdeckte er einen Betrieb, der seinen Vorstellungen entsprach. Von dort bezieht er nun ein Pils aus regionalen Zutaten und zum ermäßigten Preis.
Cheers!
Parallel dazu klapperte der leidenschaftliche Biertrinker die Kneipen in seiner Nachbarschaft, seinem „Kiez“ ab – und stieß bei vielen Wirten auf offene Ohren. Inzwischen wird der Quartiermeister in etwa 30 Lokalen in Neukölln und Kreuzberg getrunken. Anfangs fuhr Jacob noch selbst quer durch sein Revier, um per Lastenrad die Bestellungen abzuliefern; diese Schwerstarbeit haben ihm längst Getränkefirmen abgenommen. Quartiermeister-Fans, die sich nicht auf den Auswärtsgenuss beschränken wollen, können das Bier inzwischen auch bei mehreren Händlern eigenhändig abholen oder aber – ab zehn Kästen aufwärts – für ihre nächste Party frei Haus liefern lassen.
Şerefe!
Sebastian Jacob fühlt sich wohl im Multikulti-Bezirk. Die Vielfalt gefällt ihm ebenso wie die günstigen Mieten, und er habe deshalb etwas zurückgeben wollen, sagt er. Die drei Euro Gewinn pro Bierkasten wandern zunächst in die Kasse des 30-köpfigen Vereins Quartiermeister e.V. und fließen dann an Kiezprojekte, die einen Förderantrag gestellt haben. 1.000 bis 1.500 Euro monatlich verteilt der Verein auf diese Weise. Ende 2011 feierten die Vereinsmitglieder mit einer Party den Verkauf der 100.000sten Flasche und die Vergabe von insgesamt mehr als 10.000 Euro an Nachbarschaftsinitiativen. Unter anderem wurde ein interkultureller Fußballverein gefördert, ein Kulturverein mit Floßkino, ein Netzwerk für Schülerhilfe und die Kulturloge, die Menschen mit Niedrigeinkommen kostenlosen Eintritt zu Kulturveranstaltungen verschafft.
Salute!
Der junge Rechtsreferendar braucht auch deshalb manchmal selbst einen Schluck, weil er ein zeitaufwändiges Hobby betreibt. Rund 30 Stunden in der Woche arbeitet er ehrenamtlich, ohne einen Cent zu verdienen, für das Sozialbier. Was will er denn später mal sein, Jurist oder Quartiermeister? „Beides“, sagt er. „Sozialunternehmertum“ interessiere ihn sehr, und einen Preis für „zukunftsweisendes Engagement“ hat er von der Robert-Bosch-Stiftung auch schon erhalten.
Feuer, Futt unn Funke, es werdd noch aan getrunke!
Auch in Frankfurt am Main hat der Quartiermeister inzwischen ein Quartier aufgeschlagen. Eine Stadtteilinitiative in der Hessenmetropole habe die Idee so toll gefunden, erzählt Sebastian Jacob, dass sie das Bier auch vor Ort verkaufen wollte. Das gehe nicht, erklärte er ihnen, weil das Bier doch „von hier“ sein solle. Sein Verein bot aber an, beim Aufbau der Verkaufsstruktur zu helfen. Die Frankfurter fanden einen lokalen Hersteller, das Herborner Brauhaus, und los ging’s. Ähnliche Projekte – lokale Produktion plus ehrenamtliche Struktur vor Ort – seien noch in der Pipeline, verrät Jacob.
Nastrovje!
Eine Brauerei direkt in Berlin zu haben, das wäre ein Sahnehäubchen, oder Bierschäumchen, auf dem ganzen Projekt. Das Problem sei jedoch, dass alle Großbrauereien zu noch größeren Konzernen gehörten und die Mikrobrauereien zwar tolle Konzepte, aber Vertriebsprobleme hätten, erklärt der Ober-Quartiermeister. Da sie nicht pasteurisieren könnten, gebe es Haltbarkeitsprobleme und auch Schwierigkeiten mit der Flaschenabfüllung.
Doch in der Zukunft, sinniert er, werde vielleicht auch das lösbar. Und darauf: Skol! Yamas! Op uw gezondheid! Mazel tov! Salamati! Cin cin!
Der Quartiermeister verkauft Bier und unterstützt damit Projekte im Kiez. Weil die Händler kein Geld zur Kneipenausstattung oder für Werbung bekommen, ist der soziale Gerstensaft nicht einmal teurer als Konzernprodukte.
Bier trinken und damit in der Nachbarschaft Gutes tun – diesen Tresentraum erfüllt das Berliner Sozialunternehmen Quartiermeister. Sämtliche Gewinne fließen in Stadtteilprojekte: Eine Fahrradreparaturwerkstatt in Kreuzberg hat ebenso 1000 Euro bekommen wie eine ehrenamtliche Deutschkursinitiative, ein Obdachlosentreff oder Ritas Häkelclub, in dem sich türkische Frauen zum Arbeiten, Kochen und Beten treffen. Die etwa 30 Mitglieder des Unterstützervereins treffen eine Vorauswahl, anschließend stimmen die Kundinnen und Kunden ab, wohin das Geld fließt. Schon 50 000 Euro wurden auf diese Weise umverteilt.
Alles begann vor sechs Jahren als Projekt des angehenden Juristen Sebastian Jacob. Beim Zechen mit Freunden kam ihm die Idee, ein Sozialbier zu entwickeln – die Freunde hielten das für eine großartige Idee und gründeten einen Unterstützerverein. Fortan büffelte Jacob fürs Examen und verkaufte parallel – mit viel Idealismus und ohne Lohn – Kneipenbesitzern Bierflaschen, abgefüllt von einer Brauerei in Sachsen-Anhalt. Beklebt waren sie mit einem „Bier für den Kiez“-Logo, in dessen Zentrum das Konterfei eines jungen Mannes mit hochgeschlagenem Kragen prangte – ein sympathischer Jedermann, und nach Jacobs Lesart der Kunde, der durch die im Preis enthaltene Spende von etwa zehn Cent selbst zum Quartiermeister wird. Vier Prinzipien hatte Jacob für seine Biermarke festgeschrieben: Sozial, regional, transparent und „not for profit“ soll das Geschäft laufen – und das auf Dauer. Niemals dürften große Investoren etwas zu sagen haben, so hat er es in einem Manifest niedergelegt.
Doch das Bier schmeckte nicht vielen, die Brauerei ging pleite und Jacob wollte nun doch erst einmal einen sicheren Job und Geld verdienen. Die Idee aber sollte nicht sterben, fanden David Griedelbach und Peter Eckert, die beide im Unterstützerverein aktiv waren. Im Herbst 2012 übernahmen sie den Laden. „Wir verabredeten, uns bis Ende 2013 Zeit zu geben“, berichtet Griedelbach, ein großer Mann mit Bart und Kapuzenpulli. Sollte sich herausstellen, dass sich mit dem Projekt genug zum Leben verdienen lässt, wollten die beiden das durchziehen.
Die Suche nach einer neuen Brauerei begann. Natürlich sollte sie möglichst um die Ecke stehen. Doch die Berliner Betriebe kamen nicht in Frage: Alle großen Bierhersteller gehören zur Radeberger-Gruppe und damit zum Oetker-Imperium, und die Mikrobrauereien sind so winzig, dass sie über zu geringe Kapazitäten verfügen oder höhere Preise verlangen müssen. Nur fünf Brauereien im Umkreis von 200 Kilometern entsprachen den gewünschten Kriterien – eine Entfernung, die den Jungunternehmern als gerade noch akzeptabel erschien, um als regional durchzugehen. Tatsächlich ist es schwierig geworden, konzernunabhängige Brauereien zu finden. Mehr als jedes dritte Bier, das irgendwo auf dem Globus getrunken wird, soll angeblich die Kassen der fünf Marktführer füllen – und der Konzentrationsprozess geht weiter: Im Herbst 2015 verkündigte die Nummer Eins auf der Welt, sie werde Gigant Nummer Zwei schlucken.
Genau solchen Strukturen will der Quartiermeister kraftvoll entgegentreten. Also erbaten Griedelbach und Eckert von den fünf selbständigen Brauereien im Berliner Umland jeweils ein paar Probeflaschen und luden die Vereinsmitglieder zur Verkostung ein. Nach wenigen Schlucken war man sich einig: Die Stadtbrauerei Wittichenau an der brandenburgisch-sächsischen Grenze produziert den schmackhaftesten Gerstensaft.
Etwa 2000 Hektoliter braute der Wittichenauer Familienbetrieb 2015 für den Quartiermeister. Mit etwa 13 Prozent der Gesamtmenge ist der zwar noch kein Großkunde, aber trotzdem einflussreich: Der Betrieb stellte auf Ökostrom um und verkürzte den Anreiseweg des Hopfens. Als die Berliner mit der Idee ankamen, ein Biobier zu produzieren, entwickelte die Brauerei es mit und ließ sich entsprechend zertifizieren. „Die Sache läuft ganz rund und harmonisch“, beschreibt Johannes Glaab, einer der beiden geschäftsführenden Brauerbrüder, die Zusammenarbeit. Als nächstes steht eine Energieeffizienzanalyse auf der gemeinsamen To-do-Liste. „Wir wollen ja versuchen, die gesamte Wertschöpfungskette mit zu verändern“, erklärt Griedelbach, der sich selbst als „pragmatischen Idealisten“ beschreibt. Damit der Pragmatismus nicht überhandnimmt, haben die Vereinsmitglieder als Hüter des Gründungsmanifests eine zentrale Rolle: Bei allen strategisch wichtigen Entscheidungen reden sie mit. So stimmten die Ehrenamtlichen beispielsweise gegen die Zusammenarbeit mit der Lebensmittelkette Rewe, weil die sich von einem Getränkehändler beliefern lässt, der zu einem Viertel Nestlé gehört.
Inzwischen ist das Kiezbier in 120 Gaststätten, 40 Spätis und 50 Bioläden zu haben. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Leipzig und Dresden stehen inzwischen Quartiermeister-Flaschen auf den Tischen; eine Karte im Internet ermöglicht eine einfache Suche der Verkaufsstellen. Auch Menschen in Hamburg interessieren sich schon für das Konzept, in München tritt ein Begeisterter in Jacobs Fußstapfen und verkauft ein Helles mit Quartiermeister-Logo. Die Berliner unterstützen sie alle mit Rat und Tat – schließlich geht es ihnen darum, die Idee zu verbreiten und zu beweisen, dass eine andere Form von Wirtschaft möglich ist, ohne dass es teurer werden muss. Für eine kleine Flasche müssen Gaststätten oder Läden 55 Cent plus Mehrwertsteuer zahlen. Auch alle anderen Betriebsdaten sind transparent: Im Internet steht, wie viel in einem Quartal für Gehälter, Büromaterial und Transport ausgegeben wurde und wie viel folglich an Projekte verteilt werden kann. „Die Konzerne geben Millionen aus für Werbung und Marketing, richten ganze Kneipen ein, um die Gastwirte an sich zu binden. Wir vergeben keine Werbekostenzuschüsse für Sonnenschirme, Bierbänke oder Kühlschränke, und so können rund 15 Prozent des Umsatzes in den Kiez gehen“, preist Griedelbach den Quartiermeister an.
Inzwischen steht außer Frage: Der Quartiermeister hat abgehoben und kann vier Menschen in Vollzeit monatlich etwa 2200 Euro Gehalt zahlen und mehrere Freelancer beschäftigen. „Natürlich hab ich früher mehr verdient, aber wozu?“, fragt Griedelbach, der nach dem Abitur ein duales Studium bei der Deutschen Bank absolvierte. „Es ging immer nur ums Machen, Machen, Machen. Es war eine Unternehmenskultur, in der einzig Leistung zählte und alles ausgereizt wurde“, bilanziert der heute 29-Jährige. Schon während seiner Ausbildung beschäftigte er sich mit anderen Formen des Wirtschaftens und lernte Menschen kennen, die Sozialunternehmen aufgebaut hatten. Schleichend änderte sich seine Überzeugung, dass der Einzelne ja doch nichts ändern könne.
„Wir sind null verschuldet, finanzieren alles aus dem Cashflow“, berichtet Griedelbach, während er auf einem Sofa der Berliner Thinkfarm fläzt – einem Coworking-Space in einem Kreuzberger Hinterhof, in dem die Bierhändler ein paar Schreibtische gemietet haben. Das Produkt selbst findet er persönlich gar nicht so entscheidend; Klopapier wäre eigentlich genau so gut, nur würde das die Menschen wohl weniger ansprechen. Deshalb sei es besser, mit einem emotional positiv besetzten Gut anzufangen, findet Griedelbach. Bier im Quartier eignet sich dazu meisterlich.