Syntropie statt Monotonie
„Mindestens elfmal pro Erntezyklus sprühen wir, also im Schnitt alle zehn Tage“, erzählt Borges, ein misstrauischer Grossbauer in Karohemd, Jeans und Strohhut. Der 49jährige besitzt 10.000 Hektar. Zweimal erntet er im Jahr, Soja und Mais im Wechsel. Die Ernte verkauft er an Zwischenhändler wie Cargill oder multinationale Broker. Der Verkauf ist digitalisiert, die Soja geht als Viehfutter vor allem nach Asien und Europa. Damit wurde Borges reich. Der Boden war fruchtbar, die Ernte üppig, Resistenzen kein Thema. Bis zu 3600 kg pro Hektar war der Ertrag. Doch jetzt stösst das Modell an seine Grenzen: Resistenzen und Bodenunfruchtbarkeit senken die Produktivität um bis zu 30%. Borges braucht immer mehr Gift für immer weniger Ertrag. Das Rundum-Sorglos-Paket funktioniert nur noch für die ganz Grossen, die die besten Böden haben oder selbst Silos, Banken und Transportflotten besitzen, um die Soja zu verschiffen. Leute wie Brasiliens Agromogul Blairo Maggi, Ex-Gouverneur und Ex-Landwirtschaftsminister. Andere landen in der Verschuldungsfalle. „Moderne Sklaverei“, nennt Borges das Modell.
Das Gentechnische Sorgenpaket
Drei Dutzend Grossgrundbesitzer in der Autokolonne suchen Auswege aus der Sackgasse. Sie sind unterwegs auf die Sojafarm Invernadinho in der Nähe von Mineiros zu einem Praxisseminar mit dem Schweizer Agronomen Ernst Götsch. 71 Jahre alt, hager, Ziegenbart. Ein Bauernsohn vom Bodensee. Einer, der mit Mischkulturen experimentierte, als seine Forscherkollegen am Eidgenössischen Institut für Pflanzenbau auf Gentechnik und die Grüne Revolution setzten. „Alle sassen im Labor. Ich hatte die Gewächshäuser praktisch für mich alleine“, sagt er schmunzelnd. Er fand Interessantes heraus: „Um 30% steigerte sich das Wachstum bei Mischkulturen“ Von den Mischkulturen kam er auf Mikroorganismen im Boden, davon aufs Ökosystem, und alles zusammen ergab das, was Götsch die syntropische Landwirtschaft nennt: Ein in sich geschlossenes System, in dem unterschiedliche Pflanzen bestimmte Stoffwechselprodukte füreinander produzieren und mit der Zeit immer komplexere Ökosysteme und fruchtbarere Böden bilden.
SYNTROPISCHE LANDWIRTSCHAFT
Syntropie bedeutet im griechischen “miteinander, zusammen”. Die syntropische Landwirtschaft beruht auf dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Pflanzen und Organismen, die sich gegenseitig schützen und Nährstoffe zur Verfügung stellen. Sie besteht also immer aus Mischkulturen und ist genau das Gegenstück zur modernen „Grünen Revolution“ mit ihren Monokulturen. Ihre Grundstruktur ist ein Agroforst. Bäume und Gräser liefern vor allem organisches Material zur Verbesserung der Bodenqualität und der Feuchtigkeit. Die syntropische Landwirtschaft verzichtet auf extern zugefügten Dünger, Pestizide und Insektizide und ist damit 100% organisch. Die Hauptaufgabe des Menschen ist, den Agroforst zu planen, anzulegen und anschliessend durch gezieltes Stutzen zu pflegen.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Wald. Statt der Monotonie der Grünen Revolution herrscht in Götschs System Vielfalt – egal, ob es um die Produktion von Kakao geht, Soja, Weizen, Bananen oder Zitrusfrüchten. Auch der Mensch hat seinen Part: „Er ist die Giraffe“, sagt Götsch, der knackige Vergleiche liebt. Der Mensch stutzt die Baumreihen regelmässig. Das regt das Wachstum der Pflanzen an, und zugleich wird dem Boden Biomasse als Dünger zugeführt wird. Dass es funktioniert, dafür ist Götschs eigene Farm im Bundesstaat Bahía das beste Beispiel.
Der Regenmacher aus Bahia
Rrrrrummm, rrrrummm. Das Geräusch der Kettensäge dringt schon von weitem durch den dichten Wald in Gandú, im Süden von Bahía. Doch statt Kahlschlag entsteht hier ein menschengemachter Dschungel, und mittendrin befindet sich eine der produktivsten und qualitativ besten Kakaoplantagen von ganz Brasilien. „Das Stutzen regt das Wachstum der Pflanze an, schafft natürlichen Dünger und Licht für die darunter wachsenden Pflanzen“, erklärt Götsch. Er bekam die 120 Hektar vor 30 Jahren – durch eine Wette. „Das hier war verbuschtes Grasland“, erzählt Götsch, während er in Gummistiefeln und völlig verdreckten Hosen Bäume erklettert und mit der Motorsäge Äste abtrennt. Der Boden war durch Abholzung und jahrelange Viehwirtschaft verarmt, die meisten Quellen versiegt. „Ungeeignet für Kakao“, bescheinigte die zuständige Landwirtschaftsbehörde. Kakao war damals Bahias Vorzeige-Produkt. Was sich nicht für Kakao eignete, war wertlos. Götschs damaliger Auftraggeber forderte ihn heraus: „Ich kaufe dir das Land. Wenn deine Methode funktioniert, zahlst du mir es zurück.“ Götsch begann, Bäume zu setzen. Kunstdünger und Pestizide lehnte er ab. Das meiste liess er dann natürlich wachsen, auf 12 Hektar pflanzte er Bananen und Kakao und griff dort immer wieder regulierend ein.

Die Nachbarn belächelten den „irren Gringo.“ Doch nach fünf Jahren entstand ein kleiner Wald, die ersten Quellen kehrten zurück, und Götsch konnte seinen Kredit mit Kakao und Bananen zurückzahlen. Die Pflanzen wuchsen so gut, dass ihnen auch grassierende Pilzerkrankungen nichts anhaben konnten. Dann kam eine große Dürre über die Region; nur bei Götsch regnete es, weil die dichte Vegetation seiner 120 Hektar lokal für eine hohe Verdunstung sorgte. Sein Erfolg als „Regenmacher“ brachte ihm den Respekt der Nachbarn ein. Sie begannen ihm nachzuahmen. Inzwischen ist die Waldfläche der Umgegend auf 1000 Hektar gewachsen. „Beim Überflug siehst du meine Finca gar nicht mehr, weil es hier nun das ganze Jahr Wolken hat“, erzählt Götsch stolz.
Die Natur nachahmen
Ein Element spielt dabei eine zentrale Rolle, hat Götsch festgestellt: Der Wald. „Der Niedergang der Hochkulturen wurde immer durch eine Erschöpfung der natürlichen Ressourcen eingeleitet“, doziert er, „anfangen von den Römern bis hin zu den Maya. Und immer hatte es mit dem Kampf des Menschen gegen den Wald zu tun.“ Der Wald als etwas Finsteres, Unberechenbares gegen den Mensch, der ein Steppentier ist? Könnte es ein psychologisches Element sein, dass unserer Zivilisation – mit Ausnahme weniger indigener Gruppen – also schon seit Jahrtausenden böse Streiche spielt, ohne dass wir dazu lernen? Götsch bejaht das, aber auch die Tatsache, dass sich die Natur von den menschlichen Rückschlägen bisher immer wieder erholt hat.
Seine Produktion kommt komplett ohne Dünger, ohne Bewässerung und Pestizide aus, ist 100% biologisch. Wegen der niedrigen Kosten kann so von einem Hektar eine Familie ernährt werden, mit vier Hektar kann man zu Wohlstand kommen, hat er errechnet – sofern die Produkte weiterverarbeitet werden und Abtransport und Vermarktung funktionieren. Das betreibt seine Frau Cimara mit den beiden Töchtern im familiären Kleinbetrieb. „Götsch“ heisst die Hausmarke. In der heimischen Küche werden Kakao-Brösel und Bitterschokolade produziert und in einfachen Papiertüten verkauft. Sein Erfolg sprach sich herum. Götsch wurde zum „Agroforst-Papst“. Doch er will heraus aus der Öko-Nische. „Mein Wunsch ist, dass meine Art Landwirtschaft zu betreiben sich global durchsetzt“, sagt er. Dafür braucht er die Grossbauern. Vor zwei Jahren begann er die Zusammenarbeit mit der Gruppe aus Mineiros, zu der auch der Sojafarmer Paolo Borges gehört. Aus anfangs 40 Teilnehmern wurden inzwischen tausend, die per whatsapp vernetzt sind. Auf dem Seminar in Mineiros ist die Euphorie des Pioniergeistes zu spüren. Doch die Herausforderung, die syntropische Landwirtschaft auf grossen Flächen zu betreiben, ist riesig, wie auf der für den Workshop auserwählten Fazenda Invernadinho anschaulich wird: Nicht alle Pflanzen passen zueinander, die verschiedenen Produkte wie Bohnen, Bananen, Soja und Zitrusfrüchte werden gestaffelt geerntet – jede Fazenda braucht eine eigene, massgeschneiderte Kombination.
Uns fehlen Berater und passende Maschinen“, sagt Seminarteilnehmer Marco Janssen. Weil es die noch nicht gibt, malt Götsch selbst Entwürfe. Er hat auch schon ein paar Tüftler gefunden, die seine Skizzen umsetzen. Beim Praxistest auf Invernadinho gibt der grosse Rasenmäher-Gras-Aufhäufer aber schon nach wenigen Metern den Geist auf. „Das ist normal, wir haben den Fehler erkannt und müssen es nochmal versuchen“, ermuntert Götsch den skeptischen Janssen. Ein weiterer Haken sind die fehlenden Fachkräfte. Götsch hat zwar einige Agronomen in seiner Methode ausgebildet, doch längst nicht genug. Kostenpflichtige Video-Tutorials im Internet zeigen nur die Grundlagen, helfen aber nicht bei jeder Unwägbarkeit. Und schnelle Abhilfe ist für die Grossbauern das A und O, denn bei ihnen geht jede Missernte in die Millionen.
