Etabliert Anti
Ein pragmatisches Leitungsteam und hochmotivierter Nachwuchs sorgen dafür, dass der mittlerweile in die Jahre gekommene Verein Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie e.V. nicht unter dem alternativwirtschaftlichen Talar zu muffen beginnt.
Nein, wir befinden uns nicht im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist nicht mehr von den Römern besetzt, und diese Geschichte spielt weder in Laudanum, noch in Kleinbonum. Um ein Widerstandsnest geht es trotzdem.
Dass die Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie Fabrik heißt, ist im Grunde widersinnig. Sie Manufaktur zu nennen, wäre treffender. Aber damals, als die Fabrik gegründet wurde, klang das zu sehr nach Establishment. Damals, 1978, wehrten sich die Gründerinnen und Gründer aufrecht gegen bereits aufgewirbelten, aber noch deutlich riechbaren Muff unter Talaren. Sie wollten einen Platz in Freiburg schaffen, an dem sie leben und arbeiten konnten, wie sie mochten: anders als der Rest.
Wenn man heute das Gelände der ehemaligen Möbelfabrik an der Habsburgerstraße 9 betritt, hat man nicht den Eindruck, im linken Zentrum Freiburgs angekommen zu sein. Zu akkurat wirkt alles, zu gepflegt und irgendwie: zu idyllisch. Was auch daran liegt, dass sanierte Fabrikgebäude zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum ästhetischen Kanon mitteleuropäischer Besserverdiener gehören.
Die schmucken Backsteinfassaden sind bis heute weitgehend unverändert stehengeblieben. 1908 wurden der dreistöckige Bau in Freiburg-Herdern errichtet. Rund 50 Arbeiter fertigten hier für die Gebrüder Springer Möbel. Nach der Enteignung in der NS-Zeit, Exil und Wiederübernahme gaben die Brüder die Möbelfabrik Mitte der 1950er Jahre aus Altersgründen auf. Eine Garnfabrik zog ein und produzierte bis 1975 Synthetikfäden. Dann löste sich auch diese Firma auf. Drei Jahre später kaufte Christian Petty die leerstehenden Gebäude. Petty, damals Mitglied der Bundschuh-Druckerei, die bis heute auf dem Gelände produziert, hatte den Kauf aus einer Erbschaft und Bankkrediten finanziert. Damit ermöglichte er sich und seinen Genossinnen und Genossen den Einzug in die sanierungsbedürftigen Hallen.
Im Herbst 1978 begannen die Renovierungsarbeiten. Erste Gruppen nisteten sich auf den rund 3.500 Quadratmetern Nutzfläche ein. Bauarbeiten, Organisation und Verwaltung wurden von Anfang an kollektiv getragen; jeden Montagabend trafen sich die Aktiven im „Elferrat“. Das Alternativprojekt mündete in der Gründung des Vereins Fabrik für Handwerk, Kultur und Ökologie e.V. im Juli 1980– und dreieinhalb Jahrzehnte Selbstverwaltung nahmen ihren kooperativen Lauf.
Martin Wiedemann und Hans Schmid teilen sich die Geschäftsführung der Fabrik. Wiedemann ist von Beginn an dabei. Elf Gruppen aus der Alternativwirtschaft seien sie damals gewesen, erzählt er, basisdemokratisch organisiert und großzügig bei der Auslegung amtlicher Bauvorschriften. Das führte zu Zoff mit dem Genossen Grundbesitzer, der sich als Privatmann gegenüber dem Bauamt verantworten musste. Bürokratie kollidierte mit Freiheit, die Zwänge des Privateigentums ließen sich mit den Idealen des Kollektivs nicht vereinen. Fünf Jahre dauerte es, bis der Zwist in einer freundlichen Übernahme endete: Mithilfe von über 500 privaten Investoren kaufte der Verein 1984 dem Erben Haus und Gelände für rund 1,5 Millionen D-Mark ab.
Die Fabrik ist bis heute in Vereinshand. Nur die Verwaltungssituation hat sich gewandelt. Was anfänglich der „Elferrat“ diskutierte, wird nun vom Vorstandsteam und den beiden Geschäftsführern erledigt. Der Verein besitzt Gelände und Gebäude, kümmert sich um Haus- und Finanzverwaltung und betreibt die hauseigene Keramikwerkstatt sowie die Theaterbühne „Vorderhaus“. „Etwa 220 Veranstaltungen pro Jahr richten wir aus“, erzählt Wiedemann stolz, „hauptsächlich politisches Kabarett, da sind wir das führende Haus in Südbaden.“ Das Theater mit seinen 188 Plätzen ist oft zu klein, sodass man auf die großen Bühnen der Stadt ausweichen muss. Bis zu 1.500 Plätze füllen die Top Acts der Fabrik-Bühne.
Der einst baufällige Schutzraum für ein paar alternative Projekte hat sich zum kernsanierten Wirtschafts-, Sozial- und Kulturzentrum inmitten einer zunehmend verstarbuckten und zugelidlten Discounterwüste gemausert: Rund 200.000 Gäste verzeichnet die Fabrik pro Jahr auf ihrem Gelände – rechnerisch kommt also jährlich fast ganz Freiburg zu Besuch. Dieser Erfolg ist nicht nur der Kleinkunst geschuldet. Auch die 25 ansässigen Firmen und Organisationen ziehen Publikum an: Die Hilfsorganisation für Kriegsopfer AMICA e.V. ist darunter, die Schreinerei Freie Holzwerkstatt und eine pädagogische Ideenschmiede namens BAGAGE. Dazu kommen eine KiTa, eine Druckerei, zwei linke Motorradclubs sowie die alteingesessene Fahrradwerkstatt. Die Fabrik beherbergt FRIGA, die einzige unabhängige Sozial- und Existenzgründerberatung Freiburgs, und einen regionalen Wochenmarkt.
Im Souterrain des Hauptgebäudes leitet Hartmut Lempp die Freie Holzwerkstatt. Seit 1979 wird hier mit Massivholz gebaut: „Möbel, die nicht gleich auseinanderfallen, wenn man zwei Mal schief draufguckt“, schmunzelt Lempp, während er die Vorzüge eines höhenverstellbaren Vollholz-Schreibtisches vorführt. „Klar überlege ich immer wieder, warum ich mir das eigentlich antue: all das Holz erst hier runter- und die fertigen Möbel die Stufen wieder hochzuschleppen. Aber dann schaue ich mich draußen um, treffe all die guten Leute und weiß wieder, wieso.“
Fast wie die gallischen Helden Asterix und Obelix, wurde auch aus der Fabrik im Lauf der Jahre allgemein akzeptiertes Kulturgut. Sie und ihre Gründerinnen sind dort gelandet, von wo sie ursprünglich flüchteten: in der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft. Was nicht heißt, dass all ihre Ideale und Vorhaben von damals über Bord gegangen sind: Vielmehr wurden etliche Forderungen der alternativen Szene zum gesellschaftlichen Konsens. In der Fabrik kann man sich anschauen, wie dieser Prozess voranschreitet, wenn einstmalige Gegner miteinander reden lernen: Stadt und Fabrik arbeiten mit- und nicht mehr gegeneinander, wie zu Beginn.
Die Initiative Fabrik 2020 soll nun dafür Sorge tragen, dass die Erneuerungskraft sich nicht mit ihren Gründern in ein paar Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Nachwuchsprobleme gibt es keine, doch in fast 40 Jahren setzen auch die bewährtesten Strukturen etwas Rost an. Gesprächsrunden aus Leitung, Gewerbetreibenden und Nachwuchskräften analysieren darum, wie es um die Fabrik steht und wie es weitergehen soll. Die Beteiligten haben nie aufgehört, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Auch das ist ein Erfolgsgeheimnis der Freiburger Gallier.
Die Pläne für die Zukunft sind gemacht: Von einem eigenen Kindertheater träumt man, ein weiterer Anbau ist geplant, um dem akuten Platzmangel entgegenzuwirken, und der alte Heizkessel im Keller soll zukünftig zum Speicher für die überschüssige Energie werden, die Solar- und Blockheizkraftwerk erzeugen. Gegen feindliche Übernahmen durch Spekulanten wehrt man sich weiterhin gemeinsam: Asterix, Obelix und die anderen Gründungsgallier an der Habsburgerstraße sind zwar nicht mehr 20 Jahre jung, aber der spätrömischen Dekadenz ein paar Hinkelsteine in den Weg zu legen – das haben sie hier in den vergangenen 37 Jahren nicht verlernt.