Mobil bleiben und Tetris spielen – der Berliner Prinzessinnengarten
Der Berliner Prinzessinnengarten geht in die sechste Pflanzsaison. Zwischen wachsenden Besucherzahlen, drohendem Grundstücksverlust und Finanzierungsproblemen bewahren die Macher des Gemeinschaftsgartens kühle Köpfe und experimentieren mit dem Stadtleben der Zukunft.
Der Herbst neigt sich dem Ende zu, der Prinzessinnengarten fällt in einen Dornröschenschlaf. Erst im Frühjahr wird er wieder erwachen. Von Mai bis Oktober war viel los: 60 000 Menschen wandelten durch den Gemeinschaftsgarten; fast doppelt so viele wie vor zwei Jahren. Manche haben mitgemacht und Kartoffeln ausgegraben, viele haben sich umgesehen, Pflanzen gekauft oder Selbstgekochtes genossen.Fünf Jahre ist es her, dass Marco Clausen und Robert Shaw im Sommer 2009 den mobilen Gemeinschaftsgarten in der Kreuzberger Prinzessinnenstraße gründeten. Shaw war inspiriert von Reisen nach Kuba, wo Städter sich gemeinsam versorgen. Clausen war motiviert, die Idee ins Berlinerische zu übersetzen. Ihrem ersten Aufruf zur Urbarmachung des öden Betonplatzes folgten 150 Leute; danach wuchs das Interesse und gedieh. Auf dem Gelände formierte sich eine bunte Tetris-Landschaft, denn der versiegelte Boden und die allzeit drohende Kündigung zwangen das anzubauende Grün in bunte Bausteine. Nutzpflanzen sind zu Hause in Plastikkisten, Kartoffelsäcken und Milchkartons, und sie stehen bis heute da, wo gerade Platz ist.
Bald war der Prinzessinnengarten weit über die Grenzen der Hauptstadt bekannt. Heute zählt er über 500 Berichterstattungen samt Traumpressebildern: Junge Menschen gießen vor tristen Betonwänden liebevoll Tomatensträucher. „Das Gärtnern hat einen Bedeutungswandel erlebt: von einer spießigen hin zu einer neuen gemeinschaftlichen Lebensform, die Verantwortung uübernehmen will”, sagt Gartengründer Clausen. Und durch die Medienberichte kamen immer mehr Nachahmungswillige auf das Projekt zu.So entstanden im dritten Sommer die ersten „Ablegergärten”: Gemeinschaftsgärten, die das Prinzessinnengarten-Team bei der Gründung unterstützte, darunter das NeuLand Köln und das Gartendeck Hamburg. Unter dem Dach der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis formten die neuen Projekte nach und nach eine deutschlandweit vernetzte Urban-Gardening-Landschaft. Clausen und Shaw erhielten aber auch international Applaus, und sie tauschen sich aus mit Garteninitiativen von Detroit bis Tromsø. Im Prinzessinnengarten selbst haben viele verwandte Initiativen eine Heimat gefunden: ein Flohmarkt und eine Fahrradwerkstatt, Einweck- und Möbelbau-Kurse. Der Imker auf dem Gelände bietet ausgebuchte Workshops an. Mit Ideen des Selbermachens, Teilens, Wiederverwertens kann man hier offene Tore einrennen.
Den Garten beackert derzeit ein fest-flexibler Kern von 20 bis 30 Leuten, teils ehrenamtlich, teils in verschiedenen Lohnkonstruktionen; acht kann das gemeinnützige Unternehmen fest anstellen. Das Team ist vornehmlich jung und kommt von überall her in das kleine Stadtgrün. Die türkische Mama aus der Nachbarschaft ist nicht dabei. Sie kommt zwar in den Garten, interessiert sich für die Pflanzen, aber ernten möchte sie lieber für sich selbst und ihre Familie. Nachdem die Leute vom Prinzessinnengarten dies beobachtet hatten, setzten sie sich für einen Garten im vernachlässigten Hinterhof gegenüber ein. Dort erhielten die Anwohner eigene Parzellen und genießen seitdem Gartenarbeit und Ernte.Während dieser Nachbarschaftsgarten nebenan erblühte, ging im Prinzessinnengarten selbst ein existentielles Rauschen durch die Äste. Dass ihr Grundstück beim Liegenschaftsfonds gelistet war, der in Berlin öffentliche Flächen meistbietend verkauft, war den Gartenaktivisten bekannt. Ernstzunehmende Interessenten hatte es aber noch keine gegeben. Im Sommer 2012 dann tauchte plötzlich einer auf: wohlhabend und betonklotzbauwillig, so munkelte man. Seitens der Stadt herrschte Schweigen, die Zukunft des ökosozialen Projekts war ungewiss. „Technisch ist der Garten zwar mobil, aber Mobilität braucht Planung. Innerhalb von drei Monaten umzuziehen, ohne eine geeignete alternative Fläche zu haben, ist nicht möglich”, erklärt Clausen.
Im Dezember schließlich entschied die Stadtregierung, das Grundstück dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zurückzugeben. Der Bezirk sei zwar wohlwollend gewesen, meint Clausen, dennoch waren an eine fünfjährige Vermietung viele Auflagen gekoppelt. Lange war ungewiss, wie die Anforderungen genau aussehen würden und ob der Prinzessinnengarten sie überhaupt würde erfüllen können. Bis der Vertrag unterschrieben war, hing der gesamte Garten in der Schwebe. So ein Senat denkt eben in Zahlen, verkauft Land für Luxuswohnblöcke und Shopping-Center. Der Mehrwert für Nachbarschaft, Klima und Bildung zähle da wenig, bedauert Clausen; ein anderer Wertebegriff müsse her.Bis der Wirklichkeit ist, bleiben die Verhältnisse im Prinzessinnengarten prekär. Clausen und Shaw versuchen, ökonomische Stabilität in das Gartenprojekt zu bringen, das sie als gemeinnütziges Unternehmen organisiert haben. Der Winter gehört den Verwaltungsaufgaben, im Sommer schafft die Gastronomie 16 Vollzeitjobs. Deshalb findet Clausen es gut, wenn viele Leute im unbeackerten Birkenwäldchen sitzen, frischen Pfefferminztee trinken und sich die morgens geernteten Zucchini im Tagesgericht schmecken lassen: „Die Besucher tragen dazu bei, dass wir Überschüsse erwirtschaften, die wir dann in die Bildungsarbeit im Garten stecken können.” Zum zweiten Standbein hat sich der Auftragsgartenbau entwickelt – meist für Schulen und Kitas, aber auch für künstlerische Interventionen im Schauspiel Köln oder der Kunsthalle Baden-Baden.
Weder ökonomisch noch inhaltlich will sich der Prinzessinnengarten auf eine langfristige Vision festlegen. Clausen beeindruckt, wie sich alles nach und nach entwickelt und verändert: „Das alles hier haben wir ja nicht allein gemacht, sondern mit ganz vielen Leuten zusammen, von denen wir 2009 noch keinen vor Augen hatten.” Das Tetris-Prinzip, das Flexible und Bausteinhafte, bleibt des Gartens Kern. Zugleich bleibt Clausen realistisch: „Urban Gardening wirkt mit Blick auf die großen Probleme der Welt wohl eher homöopathisch, aber es öffnet den Blick, wie beispielsweise mit Ressourcen umzugehen ist.” Der Prinzessinnengarten wird weiter erproben, was in der Großstadt möglich ist und wie weit man gehen kann: „Wie wir den Ort nutzen, entspricht nicht der vorherrschenden Praxis, möglichst viel Gewinn in möglichst kurzer Zeit zu machen. Insofern ist unsere gärtnerische Nutzung eine Provokation”, lacht Clausen, „wenn sie nur nicht so nett und schön anzuschauen wäre.”
Ja, nett sieht er aus, der Prinzessinnengarten, wie er so im Winterschlaf liegt. Den Stress und die existentiellen Sorgen sieht man ihm nicht an. Darin, aber wohl nur darin, gleicht er dem typischen Berliner Kleingarten zwischen S-Bahn-Gleis und Hochhausreihe.