Wie Zukunft gemacht wird

Harald Welzer FUTURZWEI

FUTURZWEI erzählt ja eher selten ihre eigene Entstehung. Nach fast zehn Jahren Arbeit an der Zukunft resümiert Direktor Harald Welzer. Die etwas andere Weihnachtsgeschichte an Heilig Abend.

Die „Grenzen des Wachstums“, gewissermaßen der Urtext der Ökologiebewegung, sind 1972 erschienen. Das Buch hat sich mehr als 9 Millionen Mal verkauft, ist unendliche Millionen Mal zitiert worden und hat, ohne auf seinen Inhalt hier im Detail eingehen zu wollen, vor nunmehr fast einem halben Jahrhundert einen sehr schlichten Sachverhalt mit aufwendigen Rechnungen unterlegt: dass man in einem begrenzten Raum nicht unbegrenzt wachsen kann. Gerade weil dieser Sachverhalt so simpel ist und die Berechnungen von damals so plausibel, hätte man erwarten sollen, dass von 1972 an zumindest in den reichen Gesellschaften alle Hebel in Bewegung gesetzt worden wären, das Wachstum zu begrenzen – also etwa den Flächen- und Rohstoffverbrauch zu beschränken, die Autos kleiner zu machen und die Mobilität zu reduzieren. Aber das Gegenteil war der Fall: in der seither vergangenen Zeit hat sich der Ressourcenverbrauch vervielfacht – nicht nur, weil durch den Zusammenbruch des Ostblocks 1989 die komplette Weltwirtschaft sich auf den kapitalistischen Wachstumspfad begeben hat, sondern auch weil die Länder, die schon längst auf diesem Pfad waren, ihren Verbrauch in ungeahnter Weise erhöht haben. Seither ist die Kaufkraft pro Kopf unaufhaltsam angestiegen (in Deutschland beispielsweise wächst sie um circa 700 Euro pro Kopf und Jahr), die Autos sind immer größer und stärker geworden und scheinen mit den absurden Abmessungen eines BMW X7 oder Audi Q8 immer noch keine Obergrenze erreicht zu haben und die Freizeitvergnügungen überschreiten jeden 1972 erwartbaren Eskapismus. Heute macht man Kreuzfahrten in die Arktis – etwas so Bizarres, dass man es vor einem halben Jahrhundert schlicht für undenkbar gehalten hätte.

Heute ist so etwas eine (freilich ganz und gar unnormale) Normalität, und die einzigen Ereignisse, die die ungebremste Steigerungslogik unseres Lebens und Wirtschaftens je unterbrochen haben, waren die durch den Kollaps der Finanzmärkte ausgelöste Weltwirtschaftskrise am Ende der Nullerjahre und das Marktbeben, das ein klitzekleiner Virus namens Covid-19 im Jahr 2020 erzeugt hat. Freiwillig: Keine Reduktion, nirgends.

Das mag auf den ersten Blick vor allem deswegen irritierend erscheinen, weil ja die wissenschaftlichen Schreckensmeldungen und Warnungen seither nicht weniger geworden sind und sich die Voraussagen hinsichtlich der Dynamik des Klimawandels und des Artensterbens als allzu defensiv erwiesen haben. Und von Dingen wie den Plastikstrudeln im Meer und dem Mikroplastik in den Tieren war 1972 noch gar keine Rede; heute sterben viele Organismen daran. Hat all das Rechnen, Reden, Warnen und Mahnen nichts genützt? Offenbar nicht. Oder es hat sogar die gegenteiligen Wirkungen gehabt. Nicht wenige Menschen haben geglaubt, was die Wissenschaft Ihnen gesagt hat, nur haben sie daraus leider etwa diesen Schluss gezogen: „Mein Gott, wenn das alles stimmt, dann sollte man jetzt wohl besser noch rausholen, was geht! Irgendwann wird der Spaß ja endgültig vorbei sein.“

Diese Erwägung ist betrüblich, aber durchaus rational, zumal in einer Gesellschaft, deren Wohl und Wehe vor allem – wie die Ökonomen nicht zu erzählen müde werden – vom stetigen Wachstum abzuhängen scheint. Und in derselben Verbissenheit, wie die Menschen desto mehr zu Konsumjunkies werden, je deutlicher das ökologische Verhängnis wird, desto intensiver produzieren die Wissenschaften schlechte Nachrichten, in der offenbar unenttäuschbaren Hoffnung, dass irgendwer irgendwann dann doch mal umkehren wird.

Folgerichtig erschien es uns irgendwann sinnlos, weiterhin zur konventionellen Öko-Kommunikation beizutragen und wir – die Soziologin Dana Giesecke und ich – gründeten FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit. Wir hatten nämlich die Beobachtung gemacht, dass es eine beträchtliche Anzahl von Einzelnen, Initiativen, Gruppen, Unternehmen, Genossenschaften usw. gibt, die unter den real existierenden Bedingungen einer auf Konsum- und Verbrauchssteigerung ausgelegten Gesellschaft ihre Welt ganz anders gestalteten – also anders wirtschafteten, anders produzierten, sich anders organisierten als der Mainstream.

Es erschien uns erstens durchaus wichtig, dass es so viele Menschen gibt, die against all odds ein richtigeres Leben im Falschen zu führen versuchen. Zweitens dachten wir, dass man von solchen Menschen und ihren Projekten eine Menge dafür lernen könnte, wie man praktisch aus einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft auf den Pfad in eine nachhaltigere kommen könnte. Und drittens schließlich glaubten wir, dass es für die Öko-Kommunikation insgesamt gut sei, wenn man mal „Geschichten des Gelingens“ erzählen würde, anstatt immer nur Geschichten des permanenten Weiterbauens am Weltuntergang. Also bezeichneten wir uns insgeheim als „PR-Agentur für eine soziale Bewegung, die nicht weiß, dass sie existiert“ und begannen tatsächlich, Werbung zu machen – für einen anderen Umgang mit der Welt, der nicht im Konjunktiv verblieb, sondern praktisch wirksam wurde.

Das war vor zehn Jahren. FUTURZWEI sollte ein Internet-Portal werden, auf dem man journalistisch professionell recherchierte und geschriebene Geschichten über unerwartbare Strategien und Praktiken in einer nicht-nachhaltigen Welt lesen konnte. Diese Geschichten sollten ausdrücklich nicht moralisch sein, das heißt, ohne jedes Weltrettungs-Pathos auskommen, sondern einfach – wie jede gute Geschichte – einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss haben. Und von handelnden Personen erzählen, die interessante Dinge machten, denen Widerfahrnisse geschahen, die sie zu bewältigen versuchten. Und diese Personen mussten keineswegs sympathisch oder überlebensgroß gut sein, sondern eben einfach Leute, über die man etwas Interessantes erzählen konnte.

Mit finanzieller Unterstützung des Ex-Unternehmers Dieter Paulmann, der die kleine Stiftung anfangs großzügig förderte, stellten wir ein kleines Team von schreibenden Frauen und Männern zusammen, ließen uns von der Agentur Linienland einen Netzauftritt entwerfen und begannen, unsere Geschichten flaschenpostgleich in eine Welt zu senden, von der wir nicht wussten, ob es da draußen Finderinnen und Finder der Flaschenpost geben würde.

In diesem Nicht-Wissen liegt gleich ein wichtiger methodischer Hinweis: Denn wir haben vom Produkt her gedacht, also von der Notwendigkeit einer anderen Form von Öko-Kommunikation. Die sollte die Potentiale für eine proaktive Veränderung und Verbesserung der Lebenswelt freilegen. Mit der ersten Agentur, die wir um die Entwicklung eines Netzauftritts für FUTURZWEI baten, liefen wir gegen den Schrank, denn wir wollten die üblichen Fragen – „Wer ist Eure Zielgruppe?“, „Wer sind Eure Wettbewerber?“ – nicht beantworten. Hat eine gute Idee, hat Sinn eine Zielgruppe? Und wenn etwas gut und sinnhaft ist, in welchem Wettbewerb könnte es stehen? Mit schlechten und sinnlosen Ideen? Wohl kaum. Mit anderen guten und sinnhaften? Nein, denn die brauchen wir in unbegrenzter Zahl, und zwar außer Konkurrenz.

Wenn man vom Produkt her denkt, sind Fragen nach Zielgruppen und Wettbewerb uninteressant. Das ist wie in der Kunst. Mit Blick auf Marktgängigkeit entsteht nie große Kunst; sie entsteht dann, wenn jemand versucht, den gegebenen Möglichkeiten etwas Neues abzuringen, einen Riss in hermetische Wirklichkeit zu schlagen, durch den hindurch man den Vorschein einer anderen Welt sehen kann. „There is a crack in everything“, hat Leonhard Cohen gesungen, „that’s how the light gets in“.

Und: wir wollten einen Netzauftritt, der schwer zu navigieren war. Das erfüllte unsere Agentur endgültig mit Fassungslosigkeit, aber unsere damalige Begründung erscheint mir heute noch plausibel: Auch der Weg in eine nachhaltige Gesellschaft wird kein Spaziergang, sondern schwierig, steinig, holperig. Man muss ihn aber trotzdem gehen. Warum also sollten wir unsere Seite „nutzerfreundlich“ gestalten – wir wollten ja Menschen inspirieren, die vor Schwierigkeiten nicht zurückschrecken. Tatsächlich war die dann von Linienland entwickelte Seite der Hammer – eine Art Wüste, in der man sich solange bewegen musste, bis man zusammengeknüllte Papiere fand. Und wenn man die entfaltete, bekam man „Geschichten des Gelingens“ zu lesen. Vorm Konsum stand also eine eigene Aktivität, und wir haben eine Menge Beschwerden zu unserer Seite bekommen. Die meisten Beschwerdeführer hatten die Vermutung, da sei beim Programmieren etwas schiefgelaufen, und unsere freundliche Antwort, dass kein Fehler vorliege, sondern dass das so sein solle, machte die Leute nicht glücklicher. Aber eine Menge Menschen fanden unsere Wüste toll und verstanden intuitiv, dass ihre eigene Mitarbeit vonnöten war – die Veränderung der Welt geht eben nicht passiv, sie ist kein Konsumangebot.

Später, als das Nutzen von mobilen Endgeräten sich ausgebreitet hatte, mussten wir unsere Seite leider neu entwickeln lassen und ein auch auf kleinformatigen Displays funktionierenden Auftritt akzeptieren, aber gut. Ein anderes Medium, das wir von Beginn an für die Verbreitung unserer „Geschichten des Gelingens“ nutzten, war – das Buch. Mit Unterstützung der Stiftung Forum für Verantwortung entwickelten wir den „FUTURZWEI-Zukunftsalmanach“, der neben jeweils einem in mehreren Texten verhandelten Schwerpunkt – Mobilität, Konsum, Architektur – eine Auswahl unserer besten Geschichten, angereichert um Daten, enthielt, dazu ungewöhnliche Infografiken, mit denen wir die Möglichkeiten der Visualisierung von Informationen jenseits der üblichen langweiligen Tabellen und Diagramme zeigen wollten.

Die Zukunftsalmanache erschienen im S.-Fischer-Verlag und hatten vertriebsmäßig drei große Nachteile: Erstens war das Genre unklar – Sachbuch, Fachbuch, Ökobuch, Ratgeber, Handbuch? Zweitens waren die Bücher dick. Drittens waren es – Bücher. Trotz alledem waren die Verkaufszahlen überraschend gut, jedenfalls erheblich besser als die Erwartungen aller Beteiligter – uns eingeschlossen. Offenbar gab es einen deutlichen Bedarf nach „guten“ Geschichten im Universum der dystopischen Umweltkommunikation.

Dieselbe Erfahrung wie mit der Akzeptanz unseres Web-Auftritts und der Almanache machten wir mit Veranstaltungen. Nein, nicht mit Vorträgen. Auch nicht mit Podiumsdiskussionen oder so brüllend interessanten Dingen wie Fishbowls oder world cafes. Mir hat sich bis heute nicht erschlossen, worin der Sinn liegt, Leute an einzelnen Tischen zu acht diskutieren zu lassen und sie dann am nächsten Tisch wieder von vorn anfangen zu lassen, um hinterher Pappschildern an Wände zu pappen, von denen niemals mehr Gebrauch gemacht wird. Ach, stimmt nicht. Irgendwer fotografiert sie ja doch …

Wiederum: FUTURZWEI war es ja ernst mit einer anderen Form Öko-Kommunikation. Also stellten wir beispielsweise die Neuerscheinungen unserer Almanache nicht bei grünen Stiftungen oder anderen erwartbaren Orten vor, sondern zum Beispiel in der Börse oder in einem (ehemaligen) Krematorium. Dortselbst ließen wir dann etwa Spitzenjongleure (Danke Toni Bauhofer!) auftreten oder Musikerinnen (Danke Bernadette La Hengst!) oder andere Leute, von denen wir glaubten, dass sie etwas zu sagen und zu zeigen hätten – Leute, die in unseren Geschichten vorkamen. Diese Veranstaltungen waren nicht nur sehr unterhaltsam, sondern auch extrem gut besucht – und erschlossen ein Publikum, das viele Jahrzehnte vorm Rentenalter lag (was man nicht von vielen Veranstaltungen zu Themen wie Nachhaltigkeit, Ökologie, Klimaschutz sagen kann). Übrigens war es für uns – siehe Börse –sehr wichtig, auf Publikum zu treffen, das sich nicht ausschließlich aus True Believers zusammensetzte, sondern auch Menschen umfasste, die unseren Themen eher skeptisch gegenüberstand. Und genau um den Dialog mit denen geht es ja.

Kleines Zwischenfazit: Das Alles war vom Produkt her gedacht – guter Auftritt, gute Bücher, gute Veranstaltungen, gute Performer -, und eben nicht von „Zielgruppen“ her, und es zeigt sich bis heute, dass gute Produkte ihre Abnehmer immer finden. Das Geheimnis liegt darin, sein imaginiertes Publikum ernst zu nehmen und es für denkend zu halten – also es niemals zu unterfordern.

Was wir noch machten: Eine Kooperation mit 3Sat-Kulturzeit, die ein eigenes kleines Serienformat entwickelten, um Menschen aus unseren Geschichten des Gelingens im Fernsehen vorzustellen (Danke an Ralf Schmitz!), eine ganz tolle Sache, die uns und unseren Protagonisten unglaublich viel Aufmerksamkeit einbrachte. Und das fällt schon in die Rubrik „Kooperationen“ oder wie wir lieber sagen: „Bündnisse“. FUTURZWEI wurde erfolgreich, weil es sehr oft möglich war, Interessen und Ressourcen zusammenzubinden – wir durften mit einem Zirkus zusammenarbeiten (Danke den Waldonis), mit dem Archiv der Zukunft von Reinhard Kahl, mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit Kulturzeit, der Börse Hannover/Hamburg, dem Goethe-Institut, der Bundeszentrale für Politische Bildung, dem Fonds Nachhaltigkeitskultur, dem ZDF, dem S.-Fischer-Verlag, dem Label „Bis es mir vom Leibe fällt“, der Europäischen Akademie Otzenhausen, der Agentur Scholz & Volkmer, der Agentur Scholz & Friends, mit Oya und und und unendlich vielen anderen, wobei uns immer egal war, welcher Szene und Filterblase die Institutionen und Personen jeweils angehörten – wir mussten nur dasselbe Interesse am Gelingen und an der Veränderung der Wirklichkeit teilen.

Und vor allem: FUTURZWEI lebte von einer großen Zahl junger brillanter Menschen, die sich initiativ bei uns bewarben und unter schlechter Bezahlung und sträflichen Arbeitsbedingungen bei uns mitmachten (Dank an Neela JanssenLuise TremelJosefa Kny, Rafaela Then, Zoe Herlinger, Raven Musialik, Friedrich Melzer…) Sehr wichtig: Ein gutes Team, das an einer Sache arbeitet, muss hierarchiefrei arbeiten. Auch ohne Stundenzettel und Nachweise. Jede Formalisierung einer gemeinsamen Arbeit ist tödlich für den Spirit. Alle sind aufgefordert, an jeder Stelle sagen zu sollen, wenn etwas in die falsche Richtung lief; und alle sind aufgefordert, an der Stelle, wo sie nicht mehr können, zu sagen, dass sie jetzt nicht mehr können. Aus „Arbeitgebersicht“ war es uns immer total egal, ob jemand seine bezahlten Stunden arbeitete, weil sich die Qualität eines Produkts nicht quantitativ messen lässt – etwas, das in einer halben Stunde entstanden ist, kann besser sein als etwas, wofür eine Gruppe zwei Wochen gebraucht hat. We didn’t care.

Warum funktioniert so etwas? Weil die gemeinsame Arbeit an etwas – einer Ausstellung, einer Veranstaltung, einem Buch – ein gemeinsames Verständnis darüber voraussetzt, dass das Ganze nur Sinn macht, wenn es zur Verbesserung der Welt beiträgt, unabhängig davon, wie groß oder klein diese Verbesserung jeweils ist. Was jede und jeder bei einer solchen Arbeit tut, macht einen Unterschied, ist nicht egal, ist wertvoll. Und jede und jeder trägt Verantwortung für das Gelingen – und ihr oder sein Beitrag macht exakt deshalb den Unterschied, ist nicht egal, ist wertvoll. Dieser Geist ist FUTURZWEI, und nur deshalb hat dieses kleine und seit dem Ausstieg des Gründungsstifters chronisch unterfinanzierte gemeinsame Projekt auch in wechselnden Besetzungen funktioniert.

Basis für das Funktionieren eines solchen Projekts ist, dass es in sich schon Eigenschaften des konkret Utopischen trägt – Arbeit, die sich an Qualität und nicht an Quantität, nicht an Aufgabenerfüllung, sondern an Sinn misst. Die jede und jeden der Beteiligten ernst nimmt, weshalb es manchmal unfassbar komisch und witzig sein kann, was herauskommt. Sternstunden dann, wenn ich (alter weißer Mann) auf einem Podium vor etwa 2000 Menschen (Bildungskongress im Bregenzer Festspielhaus) dem geneigten Publikum mitteile, dass das Leitbild von FUTURZWEI in dem Satz bestünde: „Scheisse machen wir nicht.“ Und wenige Minuten später die ebenfalls auf dem Podium sitzende junge weiße Frau Neela Janssen das Problem benennt: „Scheisse ist leider systematisch schlecht definiert.“ Ein Projekt, ein Team, widerstreitende Auffassungen vor großem Publikum. Das ist utopisch, Freiheit von der Angst, verschieden zu sein.

Und natürlich liegt in der grammatischen Form des Futur II ja die konkrete Utopie begründet. Menschen sind, soweit wir wissen, die einzigen Lebewesen, die sich erstens eine Zukunft vorstellen können (Futur I). Die sich aber auch in einen zukünftigen Zustand hinein entwerfen können und, mehr noch, von diesem imaginierten Zukunftsort aus zurückblicken können auf den Weg, den man zurückzulegen hatte, um an diesen Ort in der Zeit zu kommen (Futur II): Wer werde ich gewesen sein? Was werden wir getan haben? Wohin werden wir gelangt sein? Das ist die Kernoperation des Imagineerings, und in dieser Operation selbst liegt ein utopisches, die Bedingungen der Gegenwart überschreitendes Moment. Voraussetzung dafür wiederum ist, dass man ein Grundvertrauen hat, dass Zukunft tatsächlich gelingen kann. Manchmal dauert es etwas länger und ist etwas schwieriger, aber – weiteres Leitbild – „wenn es einfach wäre, könnten es ja auch die Anderen machen.“

Insofern haben alle gelingenden Aktivitäten von FUTURZWEI (wie im Übrigen eben auch die vorgestellten Menschen und ihre Projekte) eine Identitätskonkretheit – sie beziehen sich immer auf etwas, wozu man selbst beitragen kann. Sie sind nicht fremdbestimmt, abstrakt, formelhaft, ritualisiert. Es gibt kein Zeittotschlagen, keine nervigen Meetings, nichts, was man macht, weil man es eben so macht. Keine Bullshit-Jobs im Sinn von David Graeber. Viel Spaß auf jeden Fall, Selbstironie, Selbstausbeutung, eine gewisse Leichtigkeit, eine Poetologie. Danke allen Beteiligten. Und großen Dank an die Zukunft.

Dieser Text erschien zuerst: Imagineering. Wie Zukunft gemacht wird, hg. von Jörg Metelmann und Harald Welzer, S. Fischer Verlage, Frankfurt a.M. 2020.