NE WELLE MACHEN
Schätzungen zufolge landen jährlich bis zu 12 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren. Die Organisation everwave widmet sich dem Problem von allen Seiten.
Auch wenn das ein fiktives Szenario ist, könnte es sehr bald zur Realität werden. Dabei stehen die Küsten vor Bali exemplarisch für die ganze Welt. Neben Surfer*innen reiten nämlich immer häufiger auch Plastikteile auf den Wellen der Meere. Plastik ist omnipräsent.
Das hat auch Marcella Hansch gemerkt – und legte 2014 den Grundstein für die heute 1000 Mitglieder starke Organisation everwave. Diese hat zum Ziel, die Weltmeere von der Plastikverschmutzung zu befreien und die Umwelt vor weiteren Schäden zu bewahren. Mittlerweile wird der Verein durch ein Start-Up ergänzt. Beide sind nicht nur Vorreiter, wenn es darum geht, die Plastikherausforderung anzugehen, sie haben auch eine Welle losgetreten – eine Welle des Engagements.
„Es ist kein Thema, das sich fernab von Deutschland oder Europa abspielt. Mittlerweile findet man Plastikmüll überall. Ein Ausblenden ist nicht mehr möglich“, problematisiert Clemens Feigl, Mitbegründer und CMO, als Leiter des Marketingbereichs von everwave. „Marcella wollte daher 2014 nicht ‚nur‘ einen Studienabschluss machen. Sie wollte etwas anstoßen“.
Seinen Ursprung fand everwave an der RWTH Aachen in Hanschs Masterarbeit. Die heute 34-Jährige entwarf darin eine Meeresplattform – sozusagen eine müllsaugende Insel – die im Pazifik einen der großen Müllstrudel, den Great Pacific Garbage Patch, beseitigen sollte. Mit ihrer Vision, die Weltmeere zu säubern, fand Hansch schnell einige Mitstreiter*innen. Im Jahr 2016 gründeten diese gemeinsam einen Verein – damals unter dem Namen Pacific Garbage Screening. Seitdem konnte die Organisation noch zahlreiche weitere Menschen für ihre Idee begeistern. Mit großem Tatendrang, viel Know-how und der gemeinsamen Vision entschloss man sich 2018, zusätzlich ein Start-Up zu gründen, um den Plan zu realisieren.
„Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Die Mischung aus Technologie, Sensibilisierung und Bildungsarbeit ist essentiell. Im Prinzip sind wir eine in sich geschlossene Welle, deshalb haben wir unseren Namen zu everwave geändert“, erklärt Feigl. Dementsprechend beschränkt sich die Organisation nicht nur auf das Müllfischen, sondern will das Problem von allen Seiten angehen. Hierbei stützt sie sich auf diese drei Säulen.
Zwar liegt der ursprüngliche Plan der Meeresplattform derzeit auf Eis, über die Jahre sind jedoch viele weitere Vorhaben und Ideen dazugekommen. Mittlerweile erstrecken sich die technologischen Lösungen von Plastik-Up-Cycling durch Bakterien (also der Aufwertung von Wertstoffen) über ausgeklügelte Sammlungsboote und -systeme bis hin zum vielfältigen Gebrauch von Künstlicher Intelligenz. Vor allem letzterem kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Jeder und jede weiß, wie nervig und anstrengend es ist, wenn man etwas sucht aber nicht findet – man muss mühselig jeden einzelnen Ort aufsuchen und überprüfen. Vor einem ähnlichen Problem stand auch everwave, als es darum ging, möglichst schnell die größten Müllhotspots in Gewässern zu finden, um diese zu beseitigen. Doch dank des Einfallsreichtums der Beteiligten konnte hierfür eine Lösung gefunden werden. Das Start-Up nutzt Drohnen und stattet diese mit einer Bilderkennungssoftware aus. Dadurch können in Windeseile die Plastikmüll-Hotspots identifiziert werden, woraufhin die Müllsammelboote mit der Arbeit beginnen können. Da der ganze Abfall in den Meeren größtenteils über die Flüsse angespült wird, konzentriert sich diese Reinigungsarbeit vor allem auf Fließgewässer.
Aber everwave versteht sich nicht als bloßes Müllsammlungs-Unternehmen. „Sobald der Müll aufs Boot kommt, wird er gescannt und ausgewertet. Dadurch können wir mit handfesten Daten Behörden auf Missstände aufmerksam machen“, erläutert Feigl. Wichtig sei hierbei, betont er, dass die Technologie immer nur Mittel und nie Zweck ist. Er hofft: „Im Idealfall werden unsere Technologien nicht mehr benötigt.“
Um nicht nur Künstliche Intelligenz, sondern auch Menschen zum Müllsammeln zu bewegen, sind die zweite und dritte Säule von everwave unabdingbar: Sensibilisierung und Bildungsarbeit. Als Grundlage hierfür hat sich die Organisation einen Satz des Verhaltensforschers Konrad Lorenz zu Eigen gemacht: „Man schützt nur, was man liebt, man liebt nur was man kennt.“ Das „EmergenSEA Kit“ – ein Umwelt-Bildungskoffer von everwave – für Schulen und Unternehmen weckt Liebe für und verbreitet Wissen über das Meer. Die Maskottchen Lisa Leuchte und Tessa Tinte erklären darin spielerisch, was es mit dem Plastik auf sich hat und wie wir unsere Umwelt davor schützen können.
Extra für dieses Kit hat die Organisation eine dauerhafte Crowdfunding-Website ins Leben gerufen. Jede und jeder kann darüber der örtlichen Schule ein „EmergenSEA Kit“ stiften. Auch hier nimmt everwave eine aktive Rolle ein, indem beispielsweise bei Unternehmen dafür geworben wird, ganze Regionen mit diesem Kit auszustatten. „Am liebsten würden wir den Koffer flächendeckend über Institutionen verteilen. Leider sind diese aber häufig sehr langsam.“, erklärt Feigl.
Zu guter Letzt werden viele Vorträge, Diskussionen und Gesprächsrunden veranstaltet, um das Thema Plastik weiter in die Öffentlichkeit zu tragen. Sowohl analog wie auch digital. „Wir öffnen einladend die Hände, erheben jedoch nie den Zeigefinger“, resümiert Feigl. Klar ist: Auch wenn es noch einige Hindernisse zu überwinden gilt, ist die rollende Welle schon zu groß, um sie aufzuhalten.