MUT ZUR SPINNEREI
Wie kann man mit vorhandenen Ressourcen verantwortlich umgehen? Wie ist sinniges Leben und Arbeiten möglich? Drei junge Menschen haben diese Fragen ernst genommen. Ihre Antwort: Eine Spinnerei vom nachhaltigen Leben e.V.
In Arbeitshosen und warmen Pullis sitzen Adrian Rinnert, Friederike Böttcher und Ursula Eichendorff vor ihrem Haus in der Mittagssonne und essen Brote mit selbstgemachten Aufstrichen. Vor ihnen nicken pinke Dahlien in der Herbstbrise und etwas zerzauste Rosen lehnen an dem losen Weidenzaun. Rinnert guckt fröhlich in die Runde: „Mit sympathischen Menschen zusammenzuleben, macht glücklich.“ Auch Helene, die kleine Tochter von Rinnert und Böttcher, sieht zufrieden aus, wie sie an ihrer Zucchinicreme-Stulle mümmelt. Anton, Eichendorffs Sohn, ist bereits satt und hüpft auf dem Trampolin herum. Eingerahmt wird das Idyll von Lehmbergen, Bauzäunen und Schubkarren.
Seit 2012 wohnt die kleine Gemeinschaft auf dem Hof in der Lausitz, baut an ihrem Wohnhaus und der gegenüberliegenden ehemaligen Holzwollspinnerei. Das Gelände liegt umgeben von hohen Bäumen in einem Tal, durch das sich das träge fließende Flüsschen Struga schlängelt. Früher trieb die Struga rauschend ein Wasserrad an, durch dessen Kraft Maschinen Baumstämme zu Holzwolle verarbeiteten. Heute liegt friedliche Ruhe über dem Hof und über dem Garten mit leuchtenden Kürbissen, Bohnenspalieren, Mangold, üppigem Wildwuchs und riesigem Kompost.
„Du pflanzt, gießt, kümmerst dich um den Boden und am Ende kannst du etwas ernten und essen – das fühlt sich einfach sinnvoll an“, sagt Rinnert. Von Jahr zu Jahr bauen die Drei mehr an und lernen dabei fortwährend dazu. Ihr Ziel ist, sich irgendwann komplett selbst zu versorgen. „Die Selbstversorgung ist ein Teil der Verantwortung, die wir gegenüber unseren Enkeln und Urenkeln übernehmen möchten“, erklärt Böttcher. Aus demselben Grund kaufen sie die Materialien für den allmählichen Ausbau von Wohnhaus und Holzwollspinnerei nicht einfach im Baumarkt. Lieber experimentieren sie mit ungewöhnlichen Baustoffen und alten Techniken.
Böttcher, Eichendorff und Rinnert versuchen stets, Vorhandenes als Ressource zu nutzen. Neue Ideen werden diskutiert und ausprobiert, auch wenn sie zunächst spinnert klingen. In diesem Sinne tauften sie ihr Hof- und Lebensprojekt: Eine Spinnerei vom nachhaltigen Leben e.V.
Als sie die baufällige Spinnerei kauften, waren sie gerade Mitte 20. „Unsere Freunde hielten uns für wahnsinnig“, erinnert sich Rinnert, „aber wir gingen es einfach an.“ Friederike Böttcher war gerade fertig mit ihrem Biologie- und Geschichte-Studium. Adrian Rinnert schmiss sein Tiermedizinstudium kurz vor der letzten Prüfung und Ursula Eichendorff kündigte ihren Job als Sozialarbeiterin. Dann wagten sie gemeinsam den Umzug von Potsdam in die ländliche Lausitz, was sie aus komfortablen WG-Zimmern in rohe Räume ohne schützende Fenster und ohne Bad katapultierte.
Doch Stein für Stein wird die Wohnhausruine aus dem 19. Jahrhundert ein richtiges Zuhause: ein kleines Kunstwerk des Re- und Upcyclings. Die Böden sind mit in Lehm eingelassenen, alten Flaschen und Tassen gedämmt. Die Mauern wurden aus vorhandenen Ziegeln wieder aufgebaut. Unter der goldenen Herbstsonne changieren vor der Halde bewahrte Dachpfannen von violett bis ockergelb und nach einer Insolvenz zurückgelassene Tonröhren bilden den Giebel des farbenfrohen Daches. Geschenkte Wolle, die für Pullis zu borstig ist, dämmt vermischt mit Lehm die Zimmerdecken.
Der alten Holzwollspinnerei steht eine derartige Verwandlung noch bevor. Doch es weht bereits frischer Wind durch den hohen Klinkerbau mit den leeren Fensterhöhlen. Der ehemalige Salon im Erdgeschoss mit seiner schmucken Deckenmalerei wird als Lager genutzt. Hier wartet Altes auf ein zweites Leben: große Fenster, Lattenroste, Heizkörper, Dosen mit rostigen Nägeln. „Das Lager sieht zwar chaotisch aus“, lacht Rinnert, „aber ich behalte den Überblick.“ In seiner Werkstatt ist das offensichtlich. Ordentlich in Regale sortiert lagern Latten und Bretter, alt und neu, gespendet oder getauscht.
Werkstatt und Garten der Spinnerei sind schon heute offen für Besucher und ein Ort für neue Pläne. „Es kommen Leute, die etwas reparieren oder tauschen wollen; Kinder, die basteln und spielen oder Gäste, die sich einfach nur erholen wollen. Wenn große und kleine Projekte aufeinandertreffen, ergibt sich oft ein kreatives Durcheinander“, freut sich Rinnert. Zudem kommen viele Menschen zu Veranstaltungen wie dem jährlichen Abenteuer-Camp für Kinder, zu Brotaufstrich-Workshops oder zum Wissensaustausch für die eigene Hofgründung.
Als die Drei entdeckten, dass in ihrer Nachbarschaft ein weiterer Tagebau geplant wurde, gründeten sie kurzentschlossen ein Aktionsbündnis samt Zeitung; beides gibt dem Tagebau-Widerstand eine Stimme.
Allerdings waren nicht alle bisherigen Projekte der Spinnerei erfolgreich. So ruhen im ersten Stock der Holzwollspinnerei die Überbleibsel eines Umsonstladens. Die gespendeten Mäntel und Wollpullis, Computerkonsolen, Toaster und der bunte Tinnef fanden bei Dorfbewohnerinnen und Besuchern nicht genügend Anklang.
Das ist zwar schade, doch Rinnert stört es nicht: „Ich möchte die Freude nicht verlieren“, sagt er, „denn die ist der Schlüssel zu Allem.“ Unverzagt wird also weiter geplant: Eine Hochschule soll die Dämmwirkung ihrer Böden aus Lehm und alten Flaschen wissenschaftlich untersuchen, mit einer solidarischen Schafhaltung und Streuobstwiesen in der Nachbarschaft und auf der Hochkippe, die der Tagebau zurückließ, möchten sie der Selbstversorgung ein weiteres Stück näher kommen.
Wenn dann die alte Holzwollspinnerei mit Solarzellen, Wärmespeicher und Fenstern bestückt sein wird, soll der erste Stock ein großer Seminarraum für politischen oder ökologischen Diskussionsgruppen werden. Rinnert nennt diesen Traum eine „Plattform für alle Vernunft“. Vielleicht wird die Spinnerei sogar ein lebendiges Transfomationslabor. Und vielleicht kann hier am Ende sogar eine Freie Schule gegründet werden. Vor allem aber wollen Böttcher, Eichendorff und Rinnert Alternativen zu klassischen Konsumkreisläufen nicht nur selbst erproben, sondern auch weitergeben.
Im Kleinen läuft das schon: Beim Gärtnern und Kochen erfahren Besucher einen bewussteren Umgang mit Ressourcen und nehmen Ideen für Aufstriche aus regionalen Zutaten mit nach Hause. Als umfassendes Lebensprinzip ist die nachhaltige Praxis der Spinnerei jedoch voraussetzungsvoll, erfordert Mut und beherzte Offenheit für unkonventionelle Wege und Wagnisse. Auch Gewohntes wird losgelassen, wie die schnelle Wärme der Etagenheizung oder liebgewonnener Luxus, wie die neuste Outdoor-Jacke. Das sei nicht jedermanns Sache, lacht Rinnert: „Doch als Idealist komme ich mit sehr wenig aus“. Auch Eichendorff möchte alle ihre Besitztümer in nur einem Schrank verstauen können. Sie resümiert: „Dafür finde ich hier Zufriedenheit, Sinn in unseren Projekten, Rückhalt in der Gemeinschaft und freue mich an schönen Momenten mit den Kindern in der Natur.“