SCHWIMMEN IN DER THERMOSKANNE
Die nordrhein-westfälische Stadt Lünen hat das erste Passivhaus-Schwimmbad Europas errichtet. Das wird auf Dauer viel Energie sparen, und damit auch Heiz- und Stromkosten.
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Aus dem großen Schwimmbecken schaut man durch riesige Fenster ins Grüne, nebenan haben es sich ein paar Mütter in Liegestühlen bequem gemacht und beobachten ihren Nachwuchs, der seit Stunden im Wasser planscht. „Ich fühl’ mich hier wie im Urlaub“, sagt eine der sichtbar entspannten Frauen.
Für alle, die ein neues Schwimmbad planen, ist ein Besuch in der 90.000-Einwohner-Stadt Lünen nördlich von Dortmund ein Muss. Dort steht das erste Passivhaus-Hallenbad Europas, das Lippe Bad. Das kommt mit halb so viel Wärmezufuhr und Strom aus wie herkömmliche Badeanstalten. Die Badegäste müssen deshalb aber nicht bibbern – ganz im Gegenteil. Die Wassertemperaturen der fünf Beckenbereiche liegen zwischen 28 und 32 Grad Celsius, und die Lufttemperatur ist jeweils zwei Grad höher.
Die Idee dazu kam Gerd Koch, Prokurist der Stadtwerke Lünen und der Bädergesellschaft Lünen, im Jahr 2006. Schon seit einer Weile hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie die Stadt es langfristig bewerkstelligen solle, ihren Bürgern Möglichkeiten zum Schwimmen zu bieten. Schließlich sind Bäder die teuersten öffentlichen Sportflächen – und weil Lünen wie viele andere Kommunen seit Jahren mehr oder weniger am Nothaushalt vorbeischrammt und Schwimmbäder zu den „freiwilligen Leistungen“ einer Kommune zählen, schien alles darauf hinzudeuten, dass der Betrieb der zwei Hallen- und zwei Schulsportbäder auf Dauer nicht zu bezahlen sein würde. Hinzu kam, dass alle vier Gebäude aus den 1950er- und 1970er-Jahren stammten, einer Zeit, in der energiesparendes Bauen für Architekten noch kein Thema war. „Man kann da zwar ein bisschen was verbessern. Aber aus einem Ackergaul wird nie ein Rennpferd“, fasst Koch seine damaligen Gedanken zusammen.
Im September 2007 traf er auf einer Veranstaltung Wolfgang Feist, einen ausgewiesenen Experten für gut isolierte Passivhäuser. Ob die Bauweise auch bei einem Hallenbad funktioniere, fragte Koch. Feist wusste es nicht. So baten die beiden die Deutsche Bundesstiftung Umwelt um finanzielle Unterstützung und gaben eine bauphysikalische Studie in Auftrag. „Die hat bestätigt, dass so ein Vorhaben sehr, sehr aussichtsreich ist“, referiert der Lüner Prokurist – und betont, dass die rund 50 Seiten starke Studie mit konkreten Hinweisen für jeden kostenlos im Internet einzusehen ist und heruntergeladen werden kann. Dass seine Stadt die erste mit einem Passivhaus-Schwimmbad ist, findet er nicht so entscheidend. Wichtiger ist ihm, dass das Beispiel Schule macht.
Nachdem der Rat der Stadt Lünen das Vorhaben gebilligt hatte, setzten sich alle zusammen, die Ahnung vom Schwimmbadwesen haben: Bauingenieure und Architektinnen, Schwimmmeister und Reinigungsfachkräfte. Am Anfang jeder Überlegung stand der Grundsatz, dass sich die Badegäste wohl fühlen sollen – schließlich kommen sie sonst nicht wieder. Die Abwesenheit von Moder und anderen unangenehmen Gerüchen ist dafür ebenso essentiell wie das Gefühl, dass es warm genug ist. Allerdings hängt es nicht allein von der Lufttemperatur ab, ob Menschen in nassen Badeanzügen beim Herumlaufen frieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Luftfeuchtigkeit. Anders gesagt: Durch eine Erhöhung des Wassergehalts in der Luft kann man die Wärme drosseln, ohne dass den Nutzern kalt wird – und auf diese Weise Energie sparen. Auch verdunstet bei höherer Luftfeuchtigkeit weniger Badewasser, was den Wärmeerhalt ebenfalls begünstigt.
Auf der anderen Seite birgt eine hohe Luftfeuchtigkeit jedoch die Gefahr, dass kühlere Wände und Fenster beschlagen und sich Schimmel bildet. Im Schwimmbad von Lünen passiert das nicht, trotz extrem hoher Luftfeuchtigkeit. Das ganze Gebäude ist eine Art Thermoskanne – dank Dreifachverglasung und einer 30 Zentimeter dicken Wärmedämmung, in die die ganze Halle quasi eingepackt ist. So sind die Innenwände warm, und das Wasser kondensiert nicht; das Auftreten von Schimmel ist deshalb auch nicht zu erwarten. Wer sich nicht für Energieeffizienz und Luftfeuchtigkeitsanteil interessiert, bekommt von alledem auch nichts mit: In der Halle fühlt man sich keineswegs an die feuchten Tropen zu Zeiten des Monsuns oder an ein nebliges Dampfbad erinnert.
Die gesamte Anlage ist unterkellert; ein Gewirr von dünnen Wasser- und Abwasserrohren und dicken Aluröhren für die Luft, manche davon dick mit Isoliermaterial gepampert, durchziehen den Raum. Es strömt und rauscht leise; hinter einer Stahltür brummen zwei Blockheizkraftwerke. Vor allem Biogas wird hier zum Heizen und zur Stromerzeugung verwendet. Stolz zeigt Badleiter Thomas Claus auf einen riesigen orangefarbenen Schrank, in dem die hereinströmende Frischluft über den Gegenstrom von drinnen geheizt wird. „Wir haben uns bei der Wärmerückgewinnung für den Mercedes entschieden“, so Claus. Zwar waren die Anschaffungskosten der Anlage etwas höher als der Marktdurchschnitt, dafür ist sie aber auch extrem leistungsfähig: Der Temperaturverlust ist minimal, und es muss nur wenig nachgeheizt werden.
Auch sonst hat man bei den Anfangsinvestitionen überall auf Qualität und geringe Verbrauchswerte gesetzt. Denn wenn man die gesamte Lebenszeit eines Schwimmbads betrachtet, entfallen durchschnittlich nur etwa zehn Prozent des Finanzbedarfs auf die Baukosten, während der Betrieb mit 90 Prozent zu Buche schlägt. So hat der Bau des Lippe Bads zwar etwa zwei Millionen Euro mehr gekostet als eine konventionelle Halle, doch zugleich erwartet die Stadt im Vergleich zum Standard jährliche Einsparungen von etwa 200.000 Euro bei den Energie-, Wasser- und Abwasserkosten. Bereits nach zehn Jahren werden sich die Mehrkosten also amortisiert haben. Weil die durchschnittliche Nutzungszeit eines öffentlichen Schwimmbads bei rund 40 Jahren liegt, lohnt sich das allemal.
Wie hoch die Verbrauchswerte tatsächlich sind, wird derzeit wissenschaftlich untersucht. Doch schon heute reisen Interessierte aus anderen Kommunen scharenweise nach Lünen. In der Szene der Schwimmbadbauer ist der Ort längst kein weißer Fleck mehr. Bisher gibt es nur einen einzigen Wermutstropfen: Weil die alten vier Bäder in Lünen dicht gemacht wurden, haben viele Bürger jetzt einen weiteren Weg zur Schwimmhalle.